Hei­li­ge Arbeit

Hei­li­ge Arbeit

War­um wir auch noch im Him­mel ar­bei­ten werden

„Und was ma­chen Sie?“ Beim ge­sel­li­gen Zu­sam­men­sein ist die Fra­ge nach der be­ruf­li­chen Tä­tig­keit oft ein ers­ter An­knüp­fungs­punkt fürs Ge­spräch. Vom Ar­beits­platz hängt ent­schei­dend ab, wel­che Stel­lung je­mand in der mo­der­nen Ge­sell­schaft ein­nimmt. Der Ar­beits­platz be­stimmt nicht nur die Höhe des Ein­kom­mens, son­dern eben­falls das So­zi­al­pres­ti­ge. Doch wel­chen Bei­trag kann die Ar­beit zu ei­nem gu­ten Le­ben leis­ten? So­wohl in ih­rer Be­deu­tung als auch vom zeit­li­chen Rah­men nimmt sie im Le­ben der meis­ten Men­schen ei­nen au­ßer­or­dent­lich gro­ßen Raum ein.
Die Ar­beit des Men­schen ist eine im­mense Res­sour­ce. Mensch­li­che Ar­beit kann ein Be­tä­ti­gungs­feld un­se­rer Krea­ti­vi­tät sein, eine Quel­le der Freu­de und des Stol­zes, der An­er­ken­nung und der so­zia­len Ver­bun­den­heit. Mehr noch: Was wir be­ruf­lich tun, kann ein we­sent­li­ches Ele­ment un­se­rer per­so­na­len Iden­ti­tät ausmachen.
Heu­te ist der Tag der Ar­beit. Eine gute Ge­le­gen­heit, um über Ar­beit neu nach­zu­den­ken und mit­ein­an­der ins Ge­spräch zu kom­men. Denn un­ter­schied­li­che re­prä­sen­ta­ti­ve Stu­di­en be­stä­ti­gen ei­nen er­nüch­tern­den Ein­druck. Dem­nach macht ein Groß­teil der deut­schen Ar­beit­neh­mer nur noch Dienst nach Vor­schrift – und wür­den am liebs­ten so­fort ih­ren Be­ruf auf­ge­ben.¹  Die FAZ ti­tel­te vor ei­ni­gen Jah­ren in ei­nem Ar­ti­kel: Fünf Mil­lio­nen Deut­sche ha­ben in­ner­lich ge­kün­digt. Wei­ter schreibt die Re­dak­teu­rin Anja En­gel­ke darin:

„Ei­gent­lich wis­sen Sie gar nicht, war­um Sie über­haupt noch für Ihr Un­ter­neh­men ar­bei­ten. Viel­leicht spie­len Sie so­gar mit dem Ge­dan­ken, zu kün­di­gen. Wenn Ih­nen die­ses Sze­na­rio be­kannt vor­kommt, geht es Ih­nen wie den meis­ten Ar­beit­neh­mern in Deutsch­land. Vier von fünf Mit­ar­bei­tern füh­len sich ih­rem Un­ter­neh­men kaum oder gar nicht emo­tio­nal ver­bun­den.“²

Grund­la­ge für die­se düs­te­re Mo­ment­auf­nah­me ist eine Stu­die des Be­ra­tungs­un­ter­neh­mens Gal­lup, die re­gel­mä­ßig ak­tua­li­siert und ver­öf­fent­licht wird. Dar­in zeich­ne­te 2018 ein er­schre­cken­des Bild ab.³ 71% der Be­frag­ten ver­rich­te­ten dem­nach nur Dienst nach Vor­schrift. 14% gar hät­ten in­ner­lich ge­kün­digt und nur 15% der Be­frag­ten fühl­ten sich dem­ge­gen­über rich­tig wohl am Ar­beits­platz. Gal­lup schätzt den volks­wirt­schaft­li­chen Scha­den, den die „in­ne­re Kün­di­gung“ von Mit­ar­bei­ten­den aus­löst, auf bis zu 103 Mil­li­ar­den Euro.
Doch was ist der Grund da­für? Die Stu­die be­zieht es auf Merk­ma­le „mo­der­ner Ar­beit“. Dazu ge­hö­ren Be­schleu­ni­gung, der Um­gang mit ei­ner im­mer grö­ßer wer­den­den In­for­ma­ti­ons­flut, Mul­ti­tas­king, hohe An­for­de­run­gen an die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keit, das häu­fi­ger wer­den­de Pen­deln und na­tür­lich die stän­di­ge Er­reich­bar­keit. Die Aus­wir­kun­gen die­ser mo­der­nen Ar­beit sind lan­ge be­kannt: Das Burn-out Syndrom.

MU­SIK: Ti­tel: The Strain – Kom­po­nist: Hen­ning Fuchs – Al­bum: Cocoon

„Ich muss nur noch sie­ben Jah­re arbeiten.“

„Die Zeit krie­ge ich schon ir­gend­wie rum.“

„Wenn ich nur die Zäh­ne zu­sam­men­bei­ße, dann wird’s schon ir­gend­wann und ir­gend­wie bes­ser werden.“

„Den Kol­le­gin­nen geht’s auch nicht besser.“

Of­fen­sicht­lich muss man sich mit dem Elend ab­fin­den. Ein Teil der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer be­schreibt die ne­ga­ti­ve Ent­wick­lung wie eine schlei­chen­de und sich ver­schlim­mern­de Ver­gif­tung. Bei an­de­ren kommt die In­fek­ti­on über­ra­schend, wie aus hei­te­rem Him­mel. Die Wir­kung ist je­den­falls im­mer eine in­di­vi­du­el­le Mix­tur aus be­las­ten­den Sym­pto­men: Rat­lo­sig­keit, quä­len­de Fra­gen nach den ei­ge­nen Feh­lern, Ner­vo­si­tät, Un­aus­ge­gli­chen­heit und Zukunftsangst.

Be­ruf­li­che Un­zu­frie­den­heit ist nicht der Nor­mal­zu­stand. Ar­beits­be­din­gun­gen, wie sie in zahl­rei­chen Be­ru­fen heu­te herr­schen, wi­der­spre­chen dem Grund­satz, dass „in ers­ter Li­nie die Ar­beit für den Men­schen da ist und nicht der Mensch für die Ar­beit“.
So hat es Papst Jo­han­nes Paul II. in sei­ner dem The­ma Ar­beit ge­wid­me­ten En­zy­kli­ka „La­bo­rem Ex­cer­cens“ ausgedrückt.
Das Schrei­ben wur­de An­fang der 1980er ver­fasst, als in der kom­mu­nis­ti­schen Welt der Glau­be bzw. die Ver­trös­tung der Ar­bei­ter auf ein Le­ben in Wohl­stand und Ge­rech­tig­keit im­mer brü­chi­ger wur­de. Auf der an­de­ren Sei­te stan­den die ka­pi­ta­lis­ti­schen Ge­sell­schaf­ten, de­ren er­reich­ter Wohl­stand und so­zia­le Si­cher­heit zu ganz ei­ge­nen Fehl­leis­tun­gen führ­ten. Au­ßer­dem dien­te die En­zy­kli­ka des pol­ni­schen Paps­tes da­mals auch der Un­ter­stüt­zung der un­ab­hän­gi­gen pol­ni­schen Ge­werk­schaft So­li­dar­nosc, die aus ei­ner Streik­be­we­gung entstand.
Auch wenn die Si­tua­ti­on im Po­len des ehe­ma­li­gen Ost­blocks mit der Lage im heu­ti­gen Mit­tel­eu­ro­pa nicht ver­gleich­bar ist, täte un­se­rem Lan­de ein neu­er, gro­ßer Dis­kurs über das The­ma Ar­beit gut. Po­lens »Solidarnosc«-Bewegung war ja nicht nur eine Ar­bei­ter­re­vol­te ge­gen ein au­to­ri­tä­res Ré­gime. Sie war auch ein zwi­schen den ge­sell­schaft­li­chen Grup­pen ge­führ­tes Streit­ge­spräch über die Ar­beit.
Ohne Ar­beit kön­nen wir nicht le­ben, nicht nur des­halb, weil wir un­ser Aus­kom­men ver­die­nen müs­sen, son­dern auch, weil wir über die Ar­beit nach et­was stre­ben, ohne das wir nicht zu exis­tie­ren ver­mö­gen: so­zia­le Teil­ha­be, Wert­schät­zung, An­er­ken­nung, per­sön­li­che Iden­ti­tät und Sinn­stif­tung. Doch was tun, wenn wir aus Grün­den der Selbst­er­hal­tung zwar ge­zwun­gen sind, zu ar­bei­ten, da­bei aber die po­si­ti­ven Er­fah­run­gen, die wir uns über die Ar­beit ver­spre­chen, nicht hin­rei­chend oder gar nicht er­hal­ten kön­nen? Wenn Men­schen statt­des­sen pre­kä­ren Ar­beits­ver­hält­nis­sen aus­ge­setzt sind?
Denn: Kei­ne Ar­beit ist auch kei­ne Lösung.

MU­SIK: Ti­tel: Kis­met – Kom­po­nist: Alex Ffrench – Al­bum: Sto­len Lullabies

Es gab schon im­mer Zei­ten, zu de­nen die Si­tua­ti­on rund um die Ar­beit an ei­nen ein­schnei­den­den Punkt ge­kom­men war.
Ende des 19. Jahr­hun­derts zur Zeit der Hoch­in­dus­tria­li­sie­rung schien die Ar­beits­welt aus den Fu­gen ge­ra­ten zu sein. Mil­lio­nen Men­schen ver­lie­ßen ihre Dör­fer. Sie zo­gen in die Städ­te, dort­hin, wo die gro­ßen Fa­bri­ken stan­den, wo Koh­le­gru­ben sich in die Erde fra­ßen und ein Meer an Miets­ka­ser­nen bis­he­ri­ges Acker­land flu­te­te. Und der Lohn ih­res Auf­bruchs: Sie ar­bei­te­ten am Tag und in der Nacht. Der Ver­dienst war ge­ring. Sie at­me­ten Staub und die Nach­kom­men wa­ren das ein­zi­ge Ka­pi­tal die­ser neu­en Stadt­men­schen, die mit zu vie­len Kin­dern in zu en­gen Woh­nun­gen haus­ten, zu­sam­men mit dem Frust und der Wut über die Ver­hält­nis­se. Im­mer mehr Ar­bei­ter glaub­ten, erst ein Um­sturz und die Ent­eig­nung der Fa­bri­kan­ten wür­den et­was ändern.
Papst Leo XIII. sah die­se im­mer pre­kä­rer wer­den­den Ver­hält­nis­se mit gro­ßer Sor­ge, wi­der­spra­chen sie doch fun­da­men­tal dem, was die Bi­bel über den Wert der Ar­beit und ihr Be­deu­tung für die Selbst­ver­wirk­li­chung des Men­schen zum Aus­druck brachte.
In den bi­bli­schen Schöp­fungs­er­zäh­lun­gen wird der Mensch näm­lich als ar­bei­ten­des We­sen ge­schaf­fen. Gott setzt den Men­schen nach sei­ner Er­schaf­fung in den Gar­ten Eden, und zwar, so heißt es dort: „da­mit er ihn be­baue und be­wah­re“. Der Mensch im Got­tes­gar­ten ar­bei­tet. Ar­beit ge­hört zur bi­bli­schen Be­stim­mung des Menschen.
Al­ler­dings wird der Mensch nicht durch Ar­beit zum Men­schen. Was ihn von den an­de­ren Ge­schöp­fen un­ter­schei­det ist die Got­tes­eben­bild­lich­keit. Es ist die­ser be­son­de­rer Got­tes­be­zug und nicht sei­ne Ar­beit, die ihn als Men­schen aus­zeich­net und die sei­ne Wür­de begründet.
Die Bi­bel ist weit da­von ent­fernt, das Ho­he­lied auf die Ar­beit zu sin­gen. Sie be­rich­tet sehr ein­dring­lich von der Müh­sal und An­stren­gung der Ar­beit. Sie er­zählt von der ste­ten Ge­fahr, dass der Mensch zum Die­ner sei­ner ei­ge­nen Wer­ke wird. Wie al­les mensch­li­che Han­deln ist auch die Ar­beit von der Sün­de ge­zeich­net. In uns Men­schen schlum­mert die be­ein­dru­cken­de und be­ängs­ti­gen­de Fä­hig­keit, al­les Gute in sein Ge­gen­teil zu ver­keh­ren. Im­mer wie­der ge­bro­chen ist das Ver­hält­nis des Men­schen zu Gott, zum Mit­men­schen und zur Schöp­fung. Des­halb ist die Ar­beit jen­seits vom pa­ra­die­si­schen Gar­ten Eden Müh­sal, des­halb muss der Mensch „im Schwei­ße sei­nes An­ge­sich­tes“¹⁰ sein Brot es­sen, wie die Bi­bel es schon in ih­ren ers­ten Ka­pi­teln be­schreibt. Des­halb wer­den die Früch­te der Ar­beit zum Ge­gen­stand von Neid und Zwie­tracht, die sich wie in der Ge­schich­te von Kain und Abel bis zum Bru­der­mord stei­gern kann.¹¹ Bei al­ler Wert­schät­zung der Ar­beit zeich­net die Bi­bel so­mit ein sehr rea­lis­ti­sches Bild der Ar­beit. Um wahr­haft hu­man zu sein, be­darf also auch die Ar­beit wie al­les mensch­li­che Han­deln der ethi­schen Wei­sung und Regelung.

MU­SIK: Ti­tel: Gjen­di­nes Ban­lat – Kom­po­nist: Iver Klei­ve & Aage Kval­bein – Al­bum: til trost

Vor dem Hin­ter­grund die­ser bi­bli­schen Über­zeu­gun­gen schrieb Papst Leo XIII. 1891 die En­zy­kli­ka „Rer­um No­varum“. Es war das ers­te päpst­li­che Rund­schrei­ben über­haupt, das sich der Ar­beit und der da­mit ver­bun­de­nen so­zia­len Fra­ge wid­me­te. Dar­in brach­te der Papst zum Aus­druck, dass die Men­schen Wert und Wür­de aus ei­ner Ar­beit zie­hen müss­ten. Ar­beit dür­fe nicht krank ma­chen, und: gute Ar­beit ver­dient fai­ren Lohn.
Es war die­se bahn­bre­chen­de En­zy­kli­ka, die Leo XIII. den Eh­ren­ti­tel ‚Ar­bei­ter­papst‘ ein­brach­te und die sei­ne Po­pu­la­ri­tät bis heu­te begründet.
Da­mit die Schöp­fung nicht aus den Fu­gen ge­rie­te, so for­mu­lier­te der Papst es da­mals, woll­te er ein­tre­ten für ei­nen Aus­gleich zwi­schen Ar­beit und Ka­pi­tal und für die Wür­de des Ar­bei­ters und sei­ner Ar­beit. Es gehe nicht an, schrieb der Papst, dass hart­her­zi­ge Ar­beit­ge­ber die Men­schen „nicht wie Men­schen, son­dern als Sa­chen be­han­deln«. Zu­gleich wand­te er sich aber ge­gen den Klas­sen­kampf und plä­dier­te statt­des­sen für eine Zu­sam­men­ar­beit von Ar­beit­ge­bern und Ar­beit­neh­mern. Ar­beit sei mehr als Geld­erwerb. Sie sei Teil des Menschseins.

„Die Ar­bei­ter dür­fen nicht wie Skla­ven an­ge­se­hen und be­han­delt wer­den; ihre per­sön­li­che Wür­de, wel­che ge­adelt ist durch ihre Wür­de als Chris­ten, wer­de stets hei­lig ge­hal­ten; (…) un­eh­ren­voll (…) und un­wür­dig ist es, Men­schen bloß zu ei­ge­nem Ge­win­ne aus­zu­beu­ten und sie nur so hoch an­zu­schla­gen, als ihre Ar­beits­kräf­te rei­chen. Eine wei­te­re Vor­schrift schärft ein: Ha­bet auch die ge­büh­ren­de Rück­sicht auf das geis­ti­ge Wohl und die re­li­giö­sen Be­dürf­nis­se der Be­sitz­lo­sen; ihr Her­ren seid ver­pflich­tet, ih­nen Zeit zu­las­sen für ihre got­tes­dienst­li­chen Übun­gen; (…) es ist un­ge­recht, sie mit mehr Ar­beit zu be­schwe­ren, als ihre Kräf­te tra­gen kön­nen, oder Leis­tun­gen von ih­nen zu for­dern, die mit ih­rem Al­ter oder Ge­schlecht in Wi­der­spruch ste­hen.“¹²

MU­SIK: Ti­tel: The Jour­ney – Kom­po­nist: Alex Ffrench – Al­bum: Sto­len Lullabies

Die In­dus­tria­li­sie­rung zer­stör­te das Bild von der ge­ord­ne­ten Ar­beit in ei­ner ge­ord­ne­ten Welt. Schon im­mer war das ein Ide­al­bild ge­we­sen. Es blen­de­te die Müh­sal der vor­in­dus­tri­el­len Wirt­schaft aus, die auf die Hun­ger­kri­sen der frü­hen Neu­zeit kei­ne Ant­wort hat­te. Doch was im 19. Jahr­hun­dert ge­schah, war tat­säch­lich neu: die Ver­dich­tung der Ar­beit in Fa­bri­ken, ihre Zer­tei­lung in klei­ne Pro­duk­ti­ons­schrit­te, die Spal­tung in we­ni­ge Ka­pi­tal­be­sit­zer und vie­le, die nichts hat­ten als ihre Arbeitskraft.
Span­nend fin­de ich, dass Mar­xis­ten und christ­li­che So­zi­al­ethi­ker den­sel­ben Be­griff für die­sen Pro­zess fan­den: Ent­frem­dung. Für die Mar­xis­ten be­deu­te­te er: Der Ar­bei­ter schuf­tet für das Ka­pi­tal der an­de­ren. Für Chris­ten mein­te er: Die Ar­beit wird ih­res Sinns be­raubt, ih­rer an­thro­po­lo­gi­schen, ethi­schen und mo­ra­li­schen Dimension.
Ge­gen die Ent­frem­dung und für den Sinn der Ar­beit, das ist seit dem aus­ge­hen­den I9. Jahr­hun­dert der Kern der ka­tho­li­schen So­zi­al­leh­re und der evan­ge­li­schen So­zi­al­ethik. Die Kir­che schafft das er­for­der­li­che so­zia­le Kli­ma, in­dem sie durch ihre Leh­re für Ge­rech­tig­keit und Lie­be sen­si­bi­li­siert. Prak­tisch folg­te der Ein­satz für bes­se­re Ar­beits­be­din­gun­gen, für den Schutz der Sonn- und Fei­er­ta­ge und für ei­nen ge­rech­te­ren Lohn. Auch der Ar­bei­ter soll­te Pri­vat­ei­gen­tum bil­den können.
Als es durch die Welt­wirt­schafts­kri­se von 1929 in Eu­ro­pa zur Mas­sen­ar­beits­lo­sig­keit kam, rück­te die Fra­ge nach ei­nem Recht auf Ar­beit ins Zen­trum. „Er­werbs­ar­beit ge­hört zum Mensch­sein“, schrieb Papst Pius XI. Weil Er­werbs­ar­beit zum Mensch­sein ge­hö­re, dürf­ten Ka­pi­tal­in­ter­es­sen nicht dar­auf ab­zie­len, dass Men­schen mas­sen­haft da­von aus­ge­schlos­sen werden.
Die Ar­beit steht vor dem Ka­pi­tal. Kei­ner hat den Ge­dan­ken so klar for­mu­liert wie Papst Jo­han­nes Paul II. 1981 in sei­nem Rund­schrei­ben „La­bo­rem exercens“:

MU­SIK: Ti­tel: New Wings – Kom­po­nist: Aron van Sa­lem  & Ar­die Son – Al­bum: Change

„Die Ar­beit ist eine Wohl­tat für den Men­schen – für sein Mensch­sein -, weil er durch die Ar­beit nicht nur die Na­tur um­wan­delt und sei­nen Be­dürf­nis­sen an­passt, son­dern auch sich selbst als Mensch ver­wirk­licht, ja ge­wis­ser­ma­ßen ‚mehr Mensch wird‘«. ¹³

Auch am Ar­beits­platz ist der Mensch dazu be­ru­fen, Mit­ar­bei­ter Got­tes zu sein. Ar­beit und Be­ruf sind kein gott­fer­ner Be­reich, in dem er sich nur not­ge­drun­gen auf­hält. Ar­beit be­deu­tet Selbst­ver­wirk­li­chung, weil der Mensch in der Ar­beit sei­ne Ga­ben und Ta­len­te ein­brin­gen und neue Fä­hig­kei­ten er­wer­ben kann. Ar­beit bil­det die wirt­schaft­li­che Grund­la­ge für eine selbst­stän­di­ge Le­bens­füh­rung. Gleich­zei­tig ist sie ein Dienst am Nächs­ten, am Wohl der Ge­sell­schaft, und da­mit auch ein Dienst an Gott. Dar­um ist Ar­beit heilig.
Die meis­ten bi­bli­schen Hel­den wa­ren nicht etwa Pries­ter oder haupt­amt­li­che Seel­sor­ger. Viel­mehr wa­ren sie Teil der hart ar­bei­ten­den Ge­sell­schaft. Es wa­ren Ge­stal­ten wie Abra­ham, dem Gott ver­sprach, Stamm­vä­ter vie­ler Völ­ker zu wer­den. Er war Vieh­züch­ter und Ge­schäfts­mann. Jo­sef, von Gott er­wählt, auf den ägyp­ti­schen Pha­rao Ein­fluss zu neh­men, war ein ge­schick­ter Manager.
Jo­sua, der im An­schluss an Mo­ses das Volk der Is­rae­li­ten in das ver­hei­ße­ne Land führ­te, war ein General.
Da­ni­el aus der Lö­wen­gru­be und Neh­emia der Wie­der­auf­er­bau­er Je­ru­sa­lems wa­ren Regierungsbeamte.
Die­ses theo­lo­gi­sche Ver­ständ­nis von Ar­beit ist so­zi­al­ethisch be­deut­sam. Wenn wir Ar­beit als Mit­ar­beit an Got­tes Schöp­fung ver­ste­hen, dann dür­fen wir uns nicht da­mit ab­fin­den, dass gan­ze Grup­pen der Ge­sell­schaft dau­er­haft vom Ar­beits­markt aus­ge­schlos­sen werden.
Nir­gends kommt im Al­ten Tes­ta­ment ein Le­ben ohne Ar­beit in den Blick. Die Hoff­nung auf „ei­nen neu­en Him­mel und eine neue Erde“ wird im Buch Je­sa­ja viel­mehr so beschrieben:

„Sie wer­den Häu­ser bau­en / und selbst dar­in woh­nen, / sie wer­den Wein­ber­ge pflan­zen und selbst de­ren Früch­te genießen.
Sie wer­den nicht bau­en, / da­mit ein an­de­rer wohnt,
nicht pflan­zen, / da­mit ein an­de­rer isst, (…)
das Werk ih­rer Hän­de / wer­den mei­ne Aus­er­wähl­ten sel­ber verbrauchen.
Sie mü­hen sich nicht ver­ge­bens / und ge­bä­ren nicht für den schnel­len Tod.
Denn sie sind die Nach­kom­men der vom HERRN Ge­seg­ne­ten / und ihre Spröss­lin­ge sind mit ih­nen.“¹⁴

Das ist ein bi­bli­sches Bild für den Him­mel. Je­sa­ja for­mu­liert ei­nen Aus­blick auf das, was uns im Le­ben bei Gott er­war­tet: Ar­beit. Wer sich al­lein auf eine wol­ki­ge Aus­zeit ge­freut hat­te, dürf­te die­se Aus­sicht wo­mög­lich ent­täu­schend fin­den. Doch Ar­beit ist und bleibt we­sent­li­cher Be­stand­teil des­sen, was ei­nen Men­schen aus­macht. Die Hoff­nung rich­tet sich hier auf ein Le­ben ohne Aus­beu­tung und auf ein Le­ben, in dem die Ar­beit nicht ins Lee­re geht, in dem sie nicht sinn­los wird. Die end­zeit­li­chen Bil­der der Bi­bel sind Bil­der ei­ner ge­rech­ten Welt. Ih­nen liegt die Ein­sicht zu­grun­de, dass das ei­gent­li­che Pro­blem des Men­schen nicht die Ar­beit ist, son­dern das Unrecht.
Weil die himm­li­sche Per­spek­ti­ve das ver­heißt, sind wir hier und jetzt be­reits ge­for­dert, an der Ver­wirk­li­chung die­ses kom­men­den Zu­stan­des zu bau­en und die Ver­hält­nis­se ent­spre­chend zu ordnen.
Al­les Hu­ma­ne stellt sich nicht von selbst ein! Des­halb soll­te das welt­wei­te Chris­ten­tum der glo­ba­li­sier­ten Wirt­schaft eine glo­ba­le Ethik zur Sei­te stel­len. Sie kann die Wür­de des Ein­zel­nen ein­for­dern, wenn es um den ge­rech­ten Lohn, um gute Ar­beits­be­din­gun­gen, um den Rhyth­mus von Ar­beit und Ruhe geht. Sie kann die So­li­da­ri­tät dort för­dern, wo der fle­xi­bel-in­di­vi­du­el­le Ar­beit­neh­mer glaubt, er stün­de al­lei­ne da. Und sie kann, wo auch im­mer, er­klä­ren: Ar­beit ist mehr als Brot­er­werb, sie ist Teil des Mensch­seins, des Le­bens­sinns. Des­halb kann nicht egal sein, was und wie der Mensch arbeitet.
Die bi­bli­sche Sicht der Ar­beit wäre je­doch un­voll­stän­dig ohne den Sab­bat. Nach­dem Gott sein Werk der Schöp­fung voll­endet hat­te, so heißt es im Schöp­fungs­be­richt, ruh­te er am sieb­ten Tag und er­klär­te ihn für hei­lig. Be­vor Adam und Eva über­haupt mit der Ar­beit be­gan­nen, wur­de ih­nen schon die Ruhe ver­ord­net. Die Ruhe ist nicht der End­punkt ei­ner vol­len Wo­che, son­dern der An­fangs­punkt al­ler Tätigkeit.
Ge­nie­ßen Sie den heu­ti­gen 1.Mai, den Tag der Ar­beit und fei­ern Sie die Hei­li­ge Ar­beit. Denn auch im Him­mel wer­den Sie ar­bei­ten und es wird Ih­nen eine Freu­de sein. Dar­auf soll­ten Sie sich vor­be­rei­ten. Wie Sie das am bes­ten tun kön­nen? Nun, ma­chen Sie es wie Gott und ru­hen sich erst ein­mal gut aus. Denn in der Ruhe liegt nicht nur die Kraft, son­dern aus ihr kommt al­les sinn­vol­le Arbeiten.

MU­SIK: Ti­tel: I Him­melen, I Him­melen – Kom­po­nist: Iver Klei­ve & Aage Kval­bein – Al­bum: til trost


¹ FAZ.NET (2018, 29. Au­gust). Fünf Mil­lio­nen Deut­sche ha­ben in­ner­lich ge­kün­digt. https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/merheit-der-arbeitnehmer-haben-innerlich-schon-gekuendigt-15753720.html

² Ebd.

³ Ebd.

La­bo­rem Ex­cer­cens, Nr.6

mehr noch: sie de­fi­nier­te die „Ar­beit als Ge­spräch“ – Vgl. SPER­FELD E.; Ar­beit als Ge­spräch. Jo­zef Tisch­ners Ethik der So­li­dar­nosc; Karl Al­bert Ver­lag; Freiburg/München 2012.

Gen 2,15

vgl. Gen 1,26

Vgl. Gen 3,17−19

Vgl. Jes 44,9−20

¹⁰ Gen 3, 19

¹¹ Vgl. Gen 4, 1–16

¹² Rer­um No­varum Nr.16

¹³ La­bo­rem Ex­cer­cens (Jo­han­nes Paul II. 1981); in: Sinn und Zu­kunft der Ar­beit. Kon­se­quen­zen aus La­bo­rem Ex­cer­cens. Hrgs. v. W. Klein u. W. Krä­mer, Mainz 1982, 581.

¹⁴ Jes 65, 21 – 23