„Hauptsache gesund!“ Häufig höre ich diese Aussage. Besonders beliebt scheint sie bei Geburtstagen ab einer gewissen Altersklasse zu sein. Meistens überhöre ich sie, weil ich in diesen Momenten nicht diskutieren will. Wer möchte auch die gute Stimmung auf einer runden Geburtstagsfeier stören?
Was meint dieser Satz? Bedeutet er wirklich: Die Hauptsache in meinem Leben, das, wofür ich mich mit meinem ganzen Sein einsetze, ist die Gesundheit?
Die 40 habe ich gerade erreicht. Der Rücken schmerzt gelegentlich, der Nacken knackt und auf meiner Nase sitzt schon lange eine Brille.
Bin ich damit gesund? Für die WHO ist Gesundheit „der Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur Freisein von Krankheit und Gebrechen.“¹ Richtig, Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Zugleich klingt das, was Gesundheit sein soll, völlig utopisch.
Vielen und vor allem chronisch kranken Menschen ergeht es dann wie dem Blinden im heutigen Evangelium. Wer es schwer hat im Leben, wird doppelt bestraft. Nicht genug, dass man sich gesundheitlich plagt. Die Welt reagiert zudem mit Ausgrenzung. Es gibt Krankheiten mit sozialen Nebenwirkungen. Krankheit treibt in die Isolation. Sie wirft aus der Mitte der Gesellschaft hinaus.
Der Blinde des heutigen Evangeliums erfährt Heilung. Doch gilt: „Hauptsache gesund!“ ist kein Motto für die Ewigkeit. Der Blinde wie alle Menschen, die Jesus einst von ihren Krankheiten geheilt hat, sind inzwischen gestorben.
Jesu Sendung ist das Heil der Welt, nicht ihre Gesundheit. Kein Gang ins Fitnessstudio und keine Diät kann den Speck von der Seele kratzen, den der Alltag dort aufhäuft. Die Kranken kommen nicht zu Jesus mit der Forderung: ‚Ich habe ein Recht auf Gesundheit, also mach mich gesund.‘ Nein, die Kranken wissen: Gesundheit ist Geschenk. Es ist nichts, was ich durch eigene Leistung erreichen kann; gesunde Ernährung oder ausreichende Bewegung können helfen, aber gesund machen sie nicht.
Heil und Heilung gehören im Leben und Handeln Jesu zusammen. Jesus vertröstet keineswegs auf eine ferne Zukunft. Er hilft den Menschen in ihren ganz konkreten Nöten und zeigt damit, dass dies auch die Aufgabe seiner Jünger ist. Wir sind gefordert, die Nöte unserer Mitmenschen ernst zu nehmen und einander zu helfen.
Jesus hat nicht alle geheilt. Aber er hat die Elenden durch seine Botschaft und seinen Auftrag dem Vergessen entrissen. Jesus zeigt damit gegen die Isolation und Not des Kranken: Gott vergisst seine Kinder nicht. Wir können auf unsere Weise vergessene Menschen entdecken und heilsame Nähe schenken.
Das heißt auch: Wir tragen den Schmerz mit, wenn das Wunder ausbleibt, das wir erbeten haben. Wir bleiben, wenn die Krankheit in diesem Leben siegt. Dann ist Glaube, darauf zu vertrauen, dass auch ein solcher Weg von Gott begleitet ist und bei ihm endet. Denn das Leben bleibt tödlich, ob wir gesund oder krank sterben.
1) Präambel der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1948, zitiert nach https://fedlex.data.admin.ch/filestore/fedlex.data.admin.ch/eli/cc/1948/1015_1002_976/20200706/de/pdf‑a/fedlex-data-admin-ch-eli-cc-1948–1015_1002_976-20200706-de-pdf‑a.pdf (zuletzt abgerufen am 14.01.2023)