Gön­ne dich dir selbst – auch wenn es schwerfällt

Gön­ne dich dir selbst – auch wenn es schwerfällt

Wer will nicht ein gu­tes Le­ben? In der heu­ti­gen Ge­sell­schaft der Su­per­la­ti­ve so­gar das bes­te al­ler mög­li­chen Le­ben? Viel­leicht ken­nen Sie fol­gen­den Wer­be­spot, in dem ein Mann im Re­stau­rant für sich und sei­ne Frau den „zweit­bes­ten Fisch“ und das „zweit­bes­te Steak“ be­stellt. Er ern­tet ver­dutz­te Bli­cke des Kell­ners. Pas­send könn­te noch Ma­don­na tö­nen, ‚don’t go for se­cond best, baby‘. Die Bot­schaft der Wer­bung: Be­gnü­ge dich nicht mit zweit­bes­ten An­ge­bo­ten, son­dern lege gleich dein Geld bei der an­geb­lich bes­ten Fondge­sell­schaft an.
Be­reits So­kra­tes ver­brach­te viel Zeit mit der Su­che nach ei­ner trag­fä­hi­gen Kon­zep­ti­on von ge­lun­ge­nem Le­ben. Ei­ner sei­ner Ge­sprächs­part­ner, Kal­li­k­les, ver­trat die Auf­fas­sung: Ein gu­tes Le­ben führt, wer sei­ne Lüs­te und sei­ne Be­dürf­nis­se stil­len kann. Das bes­te Le­ben so­mit, wer es di­rekt und um­ge­hend tut. So­kra­tes ver­spot­tet den An­satz. In­fol­ge die­ser Lo­gik näm­lich muss je­mand mit Krät­ze nicht nur ein gu­tes, son­dern das bes­te Le­ben füh­ren. Stän­dig ver­langt es ihn, sich zu krat­zen und un­un­ter­bro­chen kann er die­sem Ver­lan­gen so­fort nachkommen.
Ein gu­tes Le­ben kann also nicht in rei­ner Lust­be­frie­di­gung zu fin­den sein. Nicht zu­letzt, weil je­der ein­mal von der tra­gi­schen Tri­as¹ Lei­den, Schuld und Tod heim­ge­sucht wird. An ih­nen zer­schel­len alle ober­fläch­li­chen Ant­wor­ten. Un­wei­ger­lich don­nert die Sinn­fra­ge des Le­bens her­ein und fragt nach dem grund­le­gen­den War­um des Le­bens. Be­stün­de sinn­haf­tes Le­ben dar­in, im­mer die ei­ge­ne lust­vol­le Vor­stel­lung vom Le­ben ver­wirk­li­chen zu kön­nen, sähe es für die meis­ten Men­schen fast im­mer sehr schlecht aus.
Wer ei­nen gu­ten Sinn in sei­nem Le­ben und Ar­bei­ten ent­de­cken will, kommt an ei­ner ent­schei­den­den Fra­ge nicht vor­bei: Für wel­chen höchs­ten Wert bin ich be­reit, zu ar­bei­ten, zu lei­den und zu le­ben? Kei­ne leich­te Kost. Die Su­che nach Sinn ist für Vik­tor Frankl die pri­mä­re Mo­ti­va­ti­on ei­nes Men­schen in sei­nem Le­ben. Sei­ne The­se: Ge­lingt es ei­nem Men­schen, Sinn zu fin­den, wird sein Le­ben ge­lin­gen, also gut wer­den. Fin­det der Mensch kei­nen Sinn, wird er un­glück­lich, egal, ob er viel oder we­nig Lei­den er­le­ben wird. Frankl kann das be­haup­ten. Er über­leb­te nicht nur die Schre­cken des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Ausch­witz, son­dern ent­deck­te dort die Be­deu­tung von Sinn.
Die Fas­ten­zeit nö­tigt uns mit ih­rem Um­kehr­ruf. Sie will, dass wir mit die­sen Din­gen auf Tuch­füh­lung und Kon­fron­ta­ti­on ge­hen. Nicht aus­wei­chen, weg­du­cken, son­dern mit Je­sus in die Wüs­te ge­hen. Sich mit den ver­hei­ßungs­vol­len und ver­füh­re­ri­schen An­la­ge­stra­te­gien ei­nes gu­ten Le­bens aus­ein­an­der­set­zen. Wer das scheut, droht von Kräf­ten ge­zo­gen zu wer­den, die nichts mit ei­ge­ner Ent­schei­dung zu tun ha­ben: Er­war­tun­gen an­de­rer, Mei­nun­gen an­de­rer, schlech­te Ge­wohn­hei­ten, Wer­bung. Wer nicht die ei­ge­nen Wer­te­ent­schei­dun­gen für ein sinn­vol­les Le­ben fällt, droht sich von die­sen Din­gen kon­trol­lie­ren zu las­sen und ver­liert sei­ne per­sön­li­che Freiheit.
Gön­nen Sie sich Zeit. Gön­nen Sie sich eine gute Fas­ten­zeit. Neh­men Sie sich selbst in den Blick, wie es Bern­hard von Clairvaux schon Papst Eu­gen III. emp­fahl: „Wie kannst du voll und echt Mensch sein, wenn du dich selbst ver­lo­ren hast? (…) Denk also dar­an: Gön­ne dich dir selbst.“² 


¹ Nach Vik­tor Frankl; s. hier­zu: Otto Wies­mey­er, Alex­an­der Bat­thyá­ny (Hrsg.), Sinn und Per­son: Bei­trä­ge zur Lo­go­the­ra­pie und Exis­tenz­ana­ly­se von Vik­tor E. Frankl, Beltz, Wein­heim 2006.

² Bern­hard von Clairvaux, Got­tes­er­fah­rung und Weg in die Welt. Hrsg. Ber­nar­din Schel­len­ber­ger, Otto Wal­ter Ver­lag, Ol­ten 1982.