Dor­nen­kro­ne statt Dominanz

Dor­nen­kro­ne statt Dominanz

Was ist das Chris­ten­tum nur für eine merk­wür­di­ge Re­li­gi­on? Sie fei­ert nicht nur, dass ihr Re­li­gi­ons­stif­ter ei­nen der grau­sams­ten Tode stirbt, son­dern auch, dass Got­tes Hil­fe aus­bleibt. Da hängt die­ser Je­sus an sei­nem Kreuz zwi­schen Him­mel und Erde und von dort kommt er nicht mehr weg. Was ein elen­di­ger An­blick: Ein halb­nack­ter Mann, blu­tig ge­schla­gen, mit Nä­geln durch­bohrt und der of­fe­nen Ver­ach­tung der Men­ge aus­ge­lie­fert. Und wir Chris­ten ste­hen ju­belnd da­vor: Hoch lebe er. Hoch lebe un­ser Kö­nig. Und als ob das noch nicht ge­nug wäre, rich­tet der christ­li­che Glau­be ei­nen ei­ge­nen Fei­er­tag da­für ein, dass Gott auch tat­säch­lich tot ist: Der Karsamstag.

Am Kreuz er­folgt die völ­li­ge De­mon­ta­ge des­sen, was ge­mein­hin als kö­nig­lich gilt. Im ge­kreu­zig­ten Je­sus zeigt sich Gott in sei­ner gan­zen Ver­letz­lich­keit und ge­nau dar­in liegt die Pro­vo­ka­ti­on: Dor­nen­kro­ne statt Do­mi­nanz. Ohn­macht statt Macht. Ein Kö­nig, der mit­ten ins Cha­os tritt, der uns kon­fron­tiert mit Schmerz, Ver­lust, Wut, Tod – aber uns dar­in nicht al­lein lässt. Nä­her konn­te er mir nicht kom­men, um zu zei­gen: Ich steh an dei­ner Sei­te in all dei­nem Leid. We­der Tod noch Ein­sam­keit noch ir­gend­ein an­de­res er­drü­cken­des Schick­sal ver­liert sei­ne Schwe­re und Pein. Aber ich weiß um je­man­den, dem ich mein Un­ver­ständ­nis, mei­nen Schmerz und mei­ne Qual ent­ge­gen­hal­ten darf und der ver­steht. Da­mit bringt die­ser Kö­nig Hoff­nung und Per­spek­ti­ve in mei­ne ab­grün­digs­ten und dun­kels­ten Mo­men­te. Gott sieht den Men­schen in sei­ner Wür­de und Schön­heit und das selbst in all den Ta­ten, mit de­nen er sich selbst ent­stellt oder mit de­nen ihn an­de­re ent­stel­len wollen.

Chris­ten er­freu­en sich nicht am Leid. Sonst gäbe es all die ca­ri­ta­ti­ven und po­li­ti­schen In­itia­ti­ven nicht, die un­nö­ti­ges Leid zu be­sei­ti­gen versuchen.

Gleich­zei­tig ist der christ­li­che Glau­be zu­tiefst über­zeugt: Eine leid­freie Welt ist das Hirn­ge­spinst ei­ner Ge­sell­schaft, die rea­li­täts­fremd ge­wor­den ist. Durch den pas­sen­den Life­style un­ter­nimmt sie al­les, das Leid end­gül­tig aus­zu­mer­zen. Nur lei­der wird es blei­ben. Und wenn das Leid nicht zu be­sei­ti­gen ist, dann doch we­nigs­tens die Lei­den­den. Lei­den, das ist doch viel zu kost­spie­lig für un­ser Ge­sund­heits­sys­tem. Lei­den, das ist doch kein le­bens­wer­tes Le­ben mehr.

Die Wahr­heit ist: Der Mensch ist und bleibt ein fra­gi­les We­sen und Wun­den ge­hö­ren zum Le­bens­weg dazu: Ver­let­zun­gen, die ent­stan­den sind, weil Hoff­nun­gen ent­täuscht wur­den und Wün­sche an das ei­ge­ne Le­ben un­er­füllt ge­blie­ben sind. Schmer­zen, die noch im­mer quä­len, weil Be­zie­hun­gen zer­bro­chen oder ein ge­lieb­ter Mensch ge­nom­men wur­de. Wun­den der Hilf­lo­sig­keit, die mut­los ma­chen, weil Al­ter und Krank­heit ein selbst­be­stimm­tes Le­ben zu­neh­mend un­mög­lich ma­chen. Selbst der Auf­er­stan­de­ne trägt sei­ne Wund­ma­le mit sich her­um und wird an ih­nen er­kannt! Das Leid ist Teil des Le­bens. War­um? Es ist so.

Kö­nig Chris­tus war we­nigs­tens so an­stän­dig, die Ab­grün­dig­keit mensch­li­chen Le­bens aus­zu­hal­ten. Jesu Kö­nigs­herr­schaft zeigt, dass wah­re Macht nicht in Un­ter­wer­fung, Be­sitz oder Kon­trol­le liegt, son­dern in Treue, Mit­ge­fühl und Ge­rech­tig­keit. In ei­ner Ge­sell­schaft, die durch Au­to­ri­täts­hö­rig­keit, Po­pu­lis­mus und Macht­spie­le zer­ris­sen wird, ist das ein sub­ver­si­ves Mo­dell: ein Kö­nig, der nicht re­giert, son­dern dient. Mit solch ei­nem Kö­nig fin­de ich den Mut und die Kraft, an mei­nem Leid und dem Leid der Welt nicht irre zu wer­den. Ich sehe nicht weg. Ich schaue es an. Ich habe Hoffnung.