Alle Lust will Ewigkeit

Alle Lust will Ewigkeit

Die Son­ne steht im Ze­nit. Mit­tags­hit­ze hat sich aus­ge­brei­tet. Kein gu­ter Zeit­punkt, um vor die Tür zu ge­hen. Wer jetzt Was­ser holt, der will nie­man­dem be­geg­nen. Der hat ge­nug von schrä­gen Bli­cken und bös ver­let­zen­den Nach­fra­gen. Das dürf­te wohl auf die Sa­ma­ri­te­rin zu­tref­fen, die mit ih­rem Le­bens­wan­del von Män­nern be­gafft, von Ehe­frau­en arg­wöh­nisch be­äugt, von Mo­ral­apos­teln ver­ur­teilt, von manch ei­nem viel­leicht noch be­mit­lei­det wird. Die­se Frau weiß nur zu gut, dass mit ih­rem Le­ben et­was nicht in Ord­nung ist, dass dort eine Lü­cke klafft und ein Lee­re sie quält. 

In die­ser Stun­de und in die­sem Zu­stand trifft sie auf Je­sus. Ent­ge­gen al­len ge­bo­te­nen Be­nimm­re­geln spricht er mit ei­ner be­kann­ten Sün­de­rin, die auch noch eine Sa­ma­ri­te­rin war. Er tut et­was Un­mög­li­ches. Kein From­mer der da­ma­li­gen Zeit hät­te sich das er­laubt. Für Je­sus al­ler­dings sind mo­ra­lisch ge­sell­schaft­li­che Schran­ken nie ein ernst­zu­neh­men­des Hin­der­nis, höchs­tens ein neu­er An­reiz, Vor­ur­tei­le nie­der­zu­tre­ten.  

Je­sus kommt schnell zur Sa­che. Er legt den Fin­ger auf den wun­den Punkt im Le­ben der Frau und sagt ihr ein­fach auf den Kopf zu:

„Fünf Män­ner hast du ge­habt, und der, mit dem du jetzt zu­sam­men­lebst, ist nicht dein Mann. Da hast du die Wahr­heit ge­sagt.“ (Joh 4, 18)

Sechs­mal hat sie ver­sucht, ihre Le­bens­um­stän­de zu än­dern. Sechs – eine bi­bli­sche Sym­bol­zahl. Sie deu­tet an, dass et­was nicht ganz ist, dass et­was fehlt, dass sich et­was in un­ge­ord­ne­tem oder zer­bro­che­nem Zu­stand be­fin­det. So ist es die sechs­te Stun­de, in der Je­sus ihr be­geg­net und so sind es sechs Be­zie­hungs­an­läu­fe, die al­le­samt nur Frö­sche und kei­nen Prin­zen her­vor­ge­bracht ha­ben. Der Durst nach Lie­be hat sie in im­mer neue Ent­täu­schun­gen ge­führt, doch

„alle Lust will Ewig­keit, will tie­fe, tie­fe Ewig­keit.“ (F. Nietzsche)

Es reicht nicht nur der Rausch, die Spon­ta­nei­tät und die Lei­den­schaft des ers­ten Mals. Wir seh­nen uns auch nach le­bens­lan­ger Ge­bor­gen­heit, nach dau­er­haf­ter Ver­läss­lich­keit. Wir wol­len bei ei­nem Men­schen vor­be­halt­los auf­ge­ho­ben und be­hei­ma­tet sein. Ich will auch wis­sen, wer­de ich im Al­ter ge­liebt? Bleibst du bei mir, wenn ich krank wer­de? Die­se Wün­sche sind ge­nau­so mäch­tig wie das se­xu­el­le Be­geh­ren.  

Doch kein Mensch kann die Sehn­sucht nach dem vol­len Le­ben und die Sehn­sucht nach der vol­len Lie­be stil­len. Die­se Sehn­sucht ist un­end­lich. Wie soll­te ein end­li­cher Mensch Un­end­li­ches ge­ben kön­nen!? Der Mensch kann nur Was­ser ge­ben, das im­mer wie­der dürs­ten lässt. Nicht von un­ge­fähr kommt die Frau aus Sychar. Der Name Sychar be­deu­tet: Nicht flie­ßend, ver­stopft, ab­ge­schnit­ten von der Quel­le, aus­ge­trock­net. Das ist der Zu­stand, in dem wir uns be­fin­den, wenn wir an fal­schen Or­ten nach Er­fül­lung su­chen. Wir wer­den im­mer die­se Sehn­sucht nach Ewig­keit im Her­zen tra­gen als un­still­ba­re Gier. Es gibt ei­nen Durst, den nur Gott selbst be­frie­di­gen kann, weil er ‚die‘ Lie­be und ‚das‘ Le­ben selbst ist.   

Je­sus stellt die­se Frau nicht an den Pran­ger. Er schenkt ei­nen neu­en An­fang. Je­sus hat in ihr das Ver­trau­en ge­weckt, dass sie auch die schmerz­li­chen Sei­ten ih­res Le­bens be­trach­ten kann. Wahr sein las­sen, was wahr ist. Das ist Er­lö­sung. Da fal­len Las­ten ab, geht ein Seuf­zer der Er­leich­te­rung durch den gan­zen Men­schen wie le­ben­di­ges Was­ser, wie eine hei­len­de Kraft. Die Be­geg­nung mit Je­sus ver­än­dert sie, schafft ei­nen neu­en Men­schen. Des­halb bleibt für so vie­le zu hof­fen, die nach ei­nem Ort su­chen, wo sie sein dürfen:

„Nicht mehr auf­grund dei­ner Rede glau­ben wir, denn wir ha­ben selbst ge­hört und wis­sen: Er ist wirk­lich der Ret­ter der Welt.“ (Joh 4,42)