‚Zeit ist Geld‘, sagte Benjamin Franklin einmal und recht hat er. Zeit ist für uns zu einer Ware geworden, man investiert, die man anspart, die man verliert oder gewinnt. Scheinbar müssen wir lernen, unsere Zeit zu beherrschen. In diesen Tagen der Corona Krise, wo die Vollbremsung für viele zu einem Puffer an Zeit führt, lohnt es sich, Gedanken darüber zu machen, wofür wir unsere Zeit eigentlich einsetzen.
Eine erste Sache ist, wegzukommen von dem Gedanken, ‚das kostet Zeit‘, hin zu ‚die Zeit nehme ich mir‘. Zeit ist eine faire Währung. Jeder von uns bekommt täglich neu 24 Stunden zur Verfügung gestellt und jeder von uns muss sich daher auch täglich neu überlegen, wofür er diese Zeit einsetzen möchte. Immer wieder kommt es in meinem Alltag vor, dass Menschen auf mich zukommen und sagen: Hast du mal eben eine Minute? Hast du kurz Zeit? Können wir uns mal eben unterhalten? In diesen Momenten ploppen natürlich in meinem Kopf alle To-Do-Listen auf, die unbedingt jetzt und heute noch erledigt werden müssen. Schwups werde ich zu einem gestressten Menschen und leider bekommt mein Gegenüber das auch zu spüren.
Ich habe mich daher dazu entschieden, mir täglich neu diese Übung vorzunehmen, die mir manchmal besser und manchmal schlechter gelingt, nämlich in diesen Momenten ganz bewusst zu sagen: Ja, die Zeit nehme ich mir. Anstatt den ersten Gedanken durchkommen zu lassen, der da nämlich ist: Ach Gott, das kostet mich jetzt wieder Zeit. Ich möchte mir Zeit als etwas vorstellen und deutlich machen, dass ich habe und nicht als etwas, das es mich kostet. Das ist zwar nur die halbe Wahrheit, aber für meinen Geschmack die bessere Hälfte.
Ein zweiter Gedanke scheint mir, dass es wichtiger ist, sich mit dem zu beschäftigen, was hier los ist, als mit dem, was jetzt gerade los ist. Dank Smartphones, Tablets und Computern, dank einer globalisierten Vernetzung können wir jederzeit mitbekommen, was jetzt gerade irgendwo auf der Welt passiert. Ob ich allerdings in gleichem Maße immer auf dem Schirm habe, was hier in meinen Beziehungen los ist, hier in dem Haus, in dem ich wohne und hier in meinem Umfeld, das wage ich doch manchmal zu bezweifeln.
Es geht um eine moderne Variante des Jesu Wortes, ‚es kann passieren, dass ein Mensch die ganze Welt gewinnt, dabei aber seine Seele verliert‘. Wir müssen uns klar machen, dass die Zeit in unseren Häusern und in unseren Beziehungen auf eine Art und Weise verläuft als in der Welt unserer Smartphones und Tablets. Tragende Beziehungen kann man nicht so schnell updaten wie eine Facebook-Seite, sondern sie verlangen nach einer zusammenhängenden Zeit und das am Stück, häufig und lange, damit die Beziehungen, die uns wertvoll und wichtig sind, sich am Ende auch weiterentwickeln.
Ein letzter Gedanke, der mir noch wichtig ist: Zeit vergeht nicht, Zeit kommt. Egal wie eilig wir es wieder einmal haben. Egal wie sehr uns unserer To-Do-Listen wieder drängen und anpeitschen, Zeit kommt – immer wieder aufs Neue. Ist die eine Zeit vergangen, kommt die nächste. Das wird sich für viele Tage noch so halten.
Eine kleine Anekdote möchte ich an den Schluss setzen von einer Dame, die ich kennengelernt habe und die mir von einem schönen Ritual berichtete. Jeden Morgen ging sie zu ihrem Postkasten und holte die Tageszeitung. Das Erste, was sie machte, bevor sie wieder ins Haus ging, war direkt die Zeitung aufzuschlagen und auf die Todesanzeigen zu blicken. Wenn ihre Todesanzeige nicht dabei war, klappte sie die Zeitung wieder zusammen, ging ganz beruhigt ins Haus und trank zunächst einmal einen Kaffee. So kann man es natürlich auch machen: Die Zeit schlicht und ergreifend ignorieren und einen Kaffee trinken gehen.