Werther’s Ech­te

Werther’s Ech­te

„Wenn ich mir nicht treu blei­be, ver­feh­le ich den Sinn mei­nes Le­bens; mir ent­geht, was das Mensch­sein für mich be­deu­tet (…). Sich selbst treu zu sein heißt nichts an­de­res als der ei­ge­nen Ori­gi­na­li­tät treu zu sein und die­se ist et­was, was nur ich selbst ar­ti­ku­lie­ren und aus­fin­dig ma­chen kann. In­dem ich sie ar­ti­ku­lie­re, de­fi­nie­re ich mich zu­gleich.“ Charles Taylor

 

Au­then­tisch Le­ben – zwi­schen Ide­al und Wirklichkeit

Au­then­ti­sches, stim­mi­ges Le­ben ver­langt im­mer ei­nes: Wahr­haf­tig­keit! Sie be­inhal­tet, dass ich mei­ner selbst be­wusst bin, ehr­lich auch mit un­an­ge­neh­men Rea­li­tä­ten um­zu­ge­hen weiß, kon­se­quent Wer­te und ge­setz­te Prio­ri­tä­ten auch um­set­ze und nicht zu­letzt auf­rich­tig bin, in­dem ich ei­ge­ne De­fi­zi­te nicht verleugne.

Die So­zi­al­psy­cho­lo­gen Mi­cha­el Ker­nis und Bri­an Gold­man un­ter­schei­den ge­nau die­se vier Kri­te­ri­en, die er­füllt sein müs­sen, da­mit man sich selbst als au­then­tisch, als wahr­haf­tig erlebt.

 

Be­wusst­sein – Ein au­then­ti­scher Mensch kennt sei­ne Stär­ken und Schwä­chen eben­so wie sei­ne Ge­füh­le und Mo­ti­ve für be­stimm­te Ver­hal­tens­wei­sen. Erst durch die­se Selbst­re­fle­xi­on ist er in der Lage, sein Han­deln be­wusst zu er­le­ben und zu beeinflussen.
Da stellt sich die Fra­ge: Aber wer hat die­se Wahr­neh­mungs­fä­hig­keit ge­lernt? Ken­ne ich mich und kann ich mich ge­nü­gend be­ein­flus­sen? Hier bleibt der Mensch im­mer auf dem Weg.

 

Ehr­lich­keit – Hier­zu ge­hört, der rea­len Um­ge­bung ins Auge zu bli­cken und auch eine un­an­ge­neh­me Rück­mel­dung zu akzeptieren.
Da stellt sich die Fra­ge: Wer hat die­ses star­ke Selbst­wert­ge­fühl, um Kri­tik an­zu­neh­men? Hier braucht es im­mer neue Zu­wen­dung und Stär­kung der ei­ge­nen Person!

 

Kon­se­quenz – Ein au­then­ti­scher Mensch han­delt nach sei­nen Wer­ten. Das gilt für die ge­setz­ten Prio­ri­tä­ten und auch für den Fall, dass er sich da­durch Nach­tei­le ein­han­delt. Kaum et­was wirkt ver­lo­ge­ner und un­ech­ter als ein Opportunist.
Da stellt sich die Fra­ge: Dazu braucht es Mut und Wi­der­stands­kraft! Wo­her kommt sie? Hier ist im­mer neue Über­zeu­gungs­ar­beit gefordert.

 

Auf­rich­tig­keit – Au­then­ti­zi­tät be­inhal­tet die Be­reit­schaft, sei­ne ne­ga­ti­ven Sei­ten nicht zu verleugnen.
Da stellt sich die Fra­ge: Wo­her kommt die­ser ver­söhn­te Um­gang mit sich selbst? Im­mer neue Selbst­an­nah­me ist nötig.

 

Wer ein ech­tes, au­then­ti­sches Ich will, wird auf ei­nen Weg ge­schickt, der im­mer neue Kur­ven und Über­ra­schun­gen birgt. Für die­sen Weg bleibt die Wahr­haf­tig­keit trotz al­ler Rück­schlä­ge und bei al­len Fort­schrit­ten eine blei­ben­de Her­aus­for­de­rung. Sie wird im­mer neu ein­zu­üben sein.

 

Her­aus­for­de­rung Wahrhaftigkeit 

Aber gibt es über­haupt ein Le­ben ohne Über­blen­dun­gen, Il­lu­sio­nen und Ver­drän­gun­gen? Be­nö­ti­gen wir sie nicht so­gar, um all­täg­li­chen Wi­der­stän­den aus­zu­wei­chen und an man­chen Rea­li­tä­ten nicht irre zu werden?

Fried­rich Nietz­sche war der Mei­nung: „Die ge­wöhn­lichs­te Lüge ist die, mit der man sich selbst be­lügt. Das Be­lü­gen An­de­rer ist re­la­tiv der Ausnahmefall.“

Beim rö­mi­schen Phi­lo­soph Se­ne­ca fin­det sich das Wort: „Man darf nie­man­den et­was weg­neh­men, wenn man ihm nicht vor­her et­was Bes­se­res ge­zeigt hat.“ Gilt das nicht auch für man­che Selbst­ver­trös­tung und Selbst­ver­schleie­rung? Sich neu zu sich ver­hal­ten setzt zu­min­dest vor­aus, eine Ah­nung zu ha­ben, dass es et­was Bes­se­res gib, als das, was ich ge­ra­de lebe. Le­ben braucht Ver­hei­ßung, sonst kann der in uns vor­han­de­ne Wil­le wahr­haft und echt zu le­ben, schnell er­mü­den und am Bo­den lie­gen. Wir er­seh­nen un­se­re Wahr­heit und wir fürch­ten sie. Ohne Ge­gen­halt und hilf­rei­che Be­geg­nung wird sie uns kaum zu­gäng­lich werden.

Man­che ken­nen die Wahr­heit über sich nicht, viel­leicht auch, weil er die­se auch gar nicht ken­nen will. Er hat das Hin­hö­ren auf sich nicht ein­ge­übt oder will aus Angst vor un­an­ge­neh­men Ein­sich­ten es lie­ber erst gar nicht ver­su­chen. Die mil­des­te und zu­gleich ver­brei­te­te Form, sich in ei­ner Il­lu­si­on oder Schein­welt ein­zu­rich­ten, ist die, dass wir et­was, was wir mit we­nig Mühe wis­sen könn­ten, nicht zu ge­nau wis­sen wol­len. Für mei­ne Wahr­heit brau­che ich Schutz und nicht das Blitz­licht­ge­wit­ter der öf­fent­li­chen Vorführung.

 

Wie­der ge­ra­de stehen

Ja, Wahr­haf­tig­keit ver­langt Be­reit­schaft, sich der sper­ri­gen Wirk­lich­keit zu stel­len. Wahr­heits­blo­cka­den kön­nen aus der ei­ge­nen Bio­gra­fie stam­men oder es fehlt an Wahr­neh­mungs­fä­hig­keit sich selbst ge­gen­über. Man kul­ti­viert ei­nen blin­den Fleck, ver­schlei­ert Zu­sam­men­hän­ge, zu­min­dest dun­kel ah­nend, dass die An­nah­me der Wirk­lich­keit mit Schmer­zen ver­bun­den ist und in die Kri­se stür­zen kann.

Der Wahr­heit ins Ge­sicht zu se­hen be­darf Mut. Sie aus­zu­spre­chen ist ein Wag­nis. Sich zu zei­gen wie man wirk­lich ist un­ter der Ge­fahr, dass an­de­re sich zu­rück­zie­hen, mich ab­leh­nen oder aus­la­chen. Ge­ra­de die­se Angst ver­hin­dert in­ne­re und äu­ße­re Frei­heit. Sehr oft kommt der Mo­ment der Wahr­heit und Auf­rich­tig­keit erst, wenn eine Kri­se her­ein­bricht, et­was Erschütterndes.

Die Ge­fahr be­steht dar­in, dass ein Mensch ir­gend­wann nicht mehr mit­be­kommt, wie sehr er sich in­ner­lich ver­biegt und ver­stellt. Er folgt mehr sei­ner Fas­sa­de als den Im­pul­sen sei­nes wah­ren Ichs. Das ver­än­dert den Men­schen na­tür­lich. Wir wer­den nicht gleich krank oder ras­ten aus, aber wir ver­lie­ren an Vi­ta­li­tät und Le­bens­en­er­gie, an Le­bens­freu­de. Das lässt sich nicht sel­ten in der Kör­per­spra­che, in der Be­we­gung oder in Aus­strah­lung ei­ner Per­son be­ob­ach­ten. Wir wer­den nör­ge­lig, zynisch.

Es be­nö­tigt sehr viel psy­chi­sche Kraft, um die ei­ge­ne Wahr­heit weg­zu­drü­cken und sie viel­leicht zu ver­ste­cken. Es er­schöpft in­ner­lich krampf­haft am schö­nen Schein fest­zu­hal­ten, bis wir an die Gren­zen un­se­rer Kraft kom­men. Hei­len­de und stär­ken­de Be­geg­nun­gen wer­den im­mer we­ni­ger mög­lich aus Scheu und Angst.

Gott will mir hel­fen, zur bes­ten Ver­si­on mei­ner Selbst zu werden:

Wenn Gott für uns ist, wer kann dann ge­gen uns sein? Gott hat so­gar sei­nen ei­ge­nen Sohn nicht ver­schont, son­dern ihn für uns alle dem Tod aus­ge­lie­fert. Soll­te er uns da noch et­was vor­ent­hal­ten? Wer könn­te es wa­gen, die von Gott Aus­er­wähl­ten an­zu­kla­gen? Nie­mand (…). Wer woll­te es wa­gen, sie zu ver­ur­tei­len? Keiner (…).

Ich bin ganz si­cher: We­der Tod noch Le­ben, (…) we­der Ge­gen­wär­ti­ges noch Zu­künf­ti­ges noch ir­gend­wel­che Ge­wal­ten, we­der Ho­hes noch Tie­fes oder sonst ir­gend­et­was auf der Welt kön­nen uns von der Lie­be Got­tes tren­nen, die er uns in Je­sus Chris­tus, un­se­rem Herrn, schenkt.

Röm 8,28ff.

 

GE­BET

Herr, schen­ke mir Dei­ne Wahrheit
und las­se mich un­ter­schei­den zwi­schen Gut und Böse.
Herr, schen­ke mir Dei­nen Hei­li­gen Geist und die Klar­heit, die ich brauche,
um an dir fest­zu­hal­ten und an dich zu glauben.
Lass ge­sche­hen, was gut für mich ist und für alle Men­schen, die ich liebe
und für die, die mir zu schaf­fen machen.
Gib mir die Kraft zu tun, was nö­tig ist,
ohne Furcht und in gro­ßer Gelassenheit.

Amen.