„Wenn ich mir nicht treu bleibe, verfehle ich den Sinn meines Lebens; mir entgeht, was das Menschsein für mich bedeutet (…). Sich selbst treu zu sein heißt nichts anderes als der eigenen Originalität treu zu sein und diese ist etwas, was nur ich selbst artikulieren und ausfindig machen kann. Indem ich sie artikuliere, definiere ich mich zugleich.“ Charles Taylor
Authentisch Leben – zwischen Ideal und Wirklichkeit
Authentisches, stimmiges Leben verlangt immer eines: Wahrhaftigkeit! Sie beinhaltet, dass ich meiner selbst bewusst bin, ehrlich auch mit unangenehmen Realitäten umzugehen weiß, konsequent Werte und gesetzte Prioritäten auch umsetze und nicht zuletzt aufrichtig bin, indem ich eigene Defizite nicht verleugne.
Die Sozialpsychologen Michael Kernis und Brian Goldman unterscheiden genau diese vier Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit man sich selbst als authentisch, als wahrhaftig erlebt.
Wer ein echtes, authentisches Ich will, wird auf einen Weg geschickt, der immer neue Kurven und Überraschungen birgt. Für diesen Weg bleibt die Wahrhaftigkeit trotz aller Rückschläge und bei allen Fortschritten eine bleibende Herausforderung. Sie wird immer neu einzuüben sein.
Herausforderung Wahrhaftigkeit
Aber gibt es überhaupt ein Leben ohne Überblendungen, Illusionen und Verdrängungen? Benötigen wir sie nicht sogar, um alltäglichen Widerständen auszuweichen und an manchen Realitäten nicht irre zu werden?
Friedrich Nietzsche war der Meinung: „Die gewöhnlichste Lüge ist die, mit der man sich selbst belügt. Das Belügen Anderer ist relativ der Ausnahmefall.“
Beim römischen Philosoph Seneca findet sich das Wort: „Man darf niemanden etwas wegnehmen, wenn man ihm nicht vorher etwas Besseres gezeigt hat.“ Gilt das nicht auch für manche Selbstvertröstung und Selbstverschleierung? Sich neu zu sich verhalten setzt zumindest voraus, eine Ahnung zu haben, dass es etwas Besseres gib, als das, was ich gerade lebe. Leben braucht Verheißung, sonst kann der in uns vorhandene Wille wahrhaft und echt zu leben, schnell ermüden und am Boden liegen. Wir ersehnen unsere Wahrheit und wir fürchten sie. Ohne Gegenhalt und hilfreiche Begegnung wird sie uns kaum zugänglich werden.
Manche kennen die Wahrheit über sich nicht, vielleicht auch, weil er diese auch gar nicht kennen will. Er hat das Hinhören auf sich nicht eingeübt oder will aus Angst vor unangenehmen Einsichten es lieber erst gar nicht versuchen. Die mildeste und zugleich verbreitete Form, sich in einer Illusion oder Scheinwelt einzurichten, ist die, dass wir etwas, was wir mit wenig Mühe wissen könnten, nicht zu genau wissen wollen. Für meine Wahrheit brauche ich Schutz und nicht das Blitzlichtgewitter der öffentlichen Vorführung.
Wieder gerade stehen
Ja, Wahrhaftigkeit verlangt Bereitschaft, sich der sperrigen Wirklichkeit zu stellen. Wahrheitsblockaden können aus der eigenen Biografie stammen oder es fehlt an Wahrnehmungsfähigkeit sich selbst gegenüber. Man kultiviert einen blinden Fleck, verschleiert Zusammenhänge, zumindest dunkel ahnend, dass die Annahme der Wirklichkeit mit Schmerzen verbunden ist und in die Krise stürzen kann.
Der Wahrheit ins Gesicht zu sehen bedarf Mut. Sie auszusprechen ist ein Wagnis. Sich zu zeigen wie man wirklich ist unter der Gefahr, dass andere sich zurückziehen, mich ablehnen oder auslachen. Gerade diese Angst verhindert innere und äußere Freiheit. Sehr oft kommt der Moment der Wahrheit und Aufrichtigkeit erst, wenn eine Krise hereinbricht, etwas Erschütterndes.
Die Gefahr besteht darin, dass ein Mensch irgendwann nicht mehr mitbekommt, wie sehr er sich innerlich verbiegt und verstellt. Er folgt mehr seiner Fassade als den Impulsen seines wahren Ichs. Das verändert den Menschen natürlich. Wir werden nicht gleich krank oder rasten aus, aber wir verlieren an Vitalität und Lebensenergie, an Lebensfreude. Das lässt sich nicht selten in der Körpersprache, in der Bewegung oder in Ausstrahlung einer Person beobachten. Wir werden nörgelig, zynisch.
Es benötigt sehr viel psychische Kraft, um die eigene Wahrheit wegzudrücken und sie vielleicht zu verstecken. Es erschöpft innerlich krampfhaft am schönen Schein festzuhalten, bis wir an die Grenzen unserer Kraft kommen. Heilende und stärkende Begegnungen werden immer weniger möglich aus Scheu und Angst.
Gott will mir helfen, zur besten Version meiner Selbst zu werden:
Wenn Gott für uns ist, wer kann dann gegen uns sein? Gott hat sogar seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dem Tod ausgeliefert. Sollte er uns da noch etwas vorenthalten? Wer könnte es wagen, die von Gott Auserwählten anzuklagen? Niemand (…). Wer wollte es wagen, sie zu verurteilen? Keiner (…).
Ich bin ganz sicher: Weder Tod noch Leben, (…) weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch irgendwelche Gewalten, weder Hohes noch Tiefes oder sonst irgendetwas auf der Welt können uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns in Jesus Christus, unserem Herrn, schenkt.
Röm 8,28ff.
GEBET
Amen.