Friedrich Nietzsche wird oft der »Philosoph der Postmoderne« genannt und hat kommen sehen, was uns heute plagt. 1882 veröffentlicht er eine kleine Geschichte. Darin lässt Nietzsche einen verrückten Menschen am helllichten Tag mit einer Laterne auf einem belebten Platz auftauchen und zum völligen Unverständnis der Anwesenden rufen: »Gott ist tot! Wir haben ihn getötet.« Als könne der Mann diese Wahnsinnstat nicht fassen, ruft er noch: »Wir haben den Horizont weggewischt!«
Nicht nur der biblische Gott wurde vernichtet, sondern mit ihm alles Allgemeingültige und für alle Menschen verbindlich Geltende. Übrig bleibt nur noch der »Wille zur Macht«, der sich mit Sprache und Interpretation die Welt untertan macht. »Diskussionen« sind kein gemeinsames Streben mehr nach bestmöglicher Erkenntnis oder nach Konsens, sondern reine Machtproben. Es geht nur darum, was gelten soll und vor allem wer bestimmen darf, wie Dinge zu sehen und verstehen sind.
Am Ende seiner merkwürdigen Rede sieht der verrückte Mensch ein: »Ich bin zu früh. Ich bin noch nicht an der Zeit.« Kein Wunder, es brauchte noch gut 150 Jahre, bis das alles wahr wurde.
Wahrheitsansprüche sind nur noch Machtansprüche. Es wird nicht mehr um die Wahrheit gerungen, sondern es werden Sprechweisen erlaubt oder verboten. Beweise interessieren nicht, sondern Likes, Empörung und Shitstorms ersetzen sie. Das angeblich postmoderne „alles ist erlaubt“ und „jeder nach seiner Fasson“ wird ergänzt um einen neuen Faktor: »Das geht gar nicht!«. Wer die Diskussionen bestimmt und dominiert hat auch die Macht Fakten erst hervorzubringen. Trumps alternative Fakten sind da nur eine logische Konsequenz unserer neuen Art, Diskussionen zu führen.
Es ist schließlich ein tolles Gefühl von Macht und Einfluss, wenn man den neuen Horizont festlegt, an dem sich Glaube und Gesellschaft orientieren sollen.
Die Frage, für die keine objektive Lösung mehr sichtbar ist, lautet: Welche der Wahrheiten, die von Politikern, von Medien, im Internet, in Mailverteilern und von den Kanzeln angeboten werden, ist wirklich wahr?
Es scheint ja außerhalb der eigenen Subjektivität kein Kriterium mehr zu geben. Der eine sagt »Meinungsfreiheit« oder »selbstständiges Denken«, die andere sagt »Verschwörungstheorie«, und jeder will damit sagen: Meine Version ist legitim und deine nicht. Die neue Frage der Postmoderne lautet: »Wem glaube ich?« Sie hat die alte Frage »Was glaube ich?« ersetzt.
In Jesus gibt es einen formulierten Anspruch an die Bedeutung und Gewichtigkeit von Worten. Jedes Jahr an Weihnachten heißt es im Johannesevangelium:
»Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut« (Joh 1,14).
»Das WORT« wird materiell, es wird Mensch. Jesus zeigte mit seinen Taten, mit seinem ganzen Leben, wie verlässlich und nicht beliebig seine Worte sind. Das macht ihn vertrauenswürdig. Es sind nicht Worte von Rechthaberei und Hypermoralismus, nicht die Worte der Aktivisten, der Hater und derer, die Hater haten. Es sind nicht die bemächtigenden Worte der macht‑, gesellschafts- und identitätspolitischen Diskurse, die wir in der Gegenwart erleben. Sondern von Jesu Sprechweise wird in der Bibel gesagt:
»Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen« (Jes 42,2).
Am »Schreien« erkennt man im Neuen Testament die Dämonen. Die Worte Jesu erkennen wir daran, dass sie Menschen aufrichten, ihnen einen neuen Anfang ermöglichen und sie nicht auf ihre Vergangenheit festlegen.
Vielleicht können wir nicht mehr ohne Weiteres entscheiden, welche »Wahrheiten«, die die Welt uns bietet, wahr sind. Aber wir können wahrnehmen, was die Wahrheit, der wir glauben, mit uns macht, welche Früchte sie trägt. Jesu Worte waren nicht »Wille zur Macht«, sondern seine Worte und er selbst wollten zum Leben & Glauben ermächtigen. Und das bleibt Richtschnur und Anspruch an jeden Christen in jeder Diskussion, an jedem Tag.