Ergebnisse der Studie von Schaie aus den Jahren 1996⁄97. In seiner Studie kommt Schaie zu dem Ergebnis, dass
– Alltagskompetenzen eine hohe Stabilität bis in das achte Lebensjahrzehnt auf weisen.
– das chronologische Alter kein relevantes Vorhersagekriterium für die intellektuelle Leistungsfähigkeit ist – die Untersuchung der intellektuellen Leistungsfähigkeit im Alter Konstanz in der kristallinen Intelligenz (Erfahrungswissen) und einen nur leichten Abbau in der fluiden Intelligenz (Problemlösefähigkeit) ergibt
– der beobachtbare Abbau von Leistungsfähigkeit überwiegend auf fehlendes Training (keine berufliche Aktivitäten) zurückgeführt werden kann. Diese Einsicht wird griffig in der Dis–Use–Hypothese (=Was nicht ausgeführt wird, wird verlernt) formuliert
– eine hohe interindividuelle Variabilität beim Alternsprozess existiert, die wiederum ein Indiz dafür ist, dass Altern nur multikausal verstanden werden kann.
Auch hier unterstützen die Ergebnisse eine Revision des in der Gesellschaft verankerten Alternsbildes: 85% der 80–85jährigen führten selbstständig ihren Haushalt und lebten selbstorganisiert. Nur 15% lebten in Alten– bzw. Pflegeheimen. Das Bild des inkompetenten Alten ist dementsprechend überholt.
Die aktuelle Forschungsergebnisse und theoretischen Modellbildungen lassen sich in drei Thesen zusammenfassen:
(1) Altern ist bei gesunden Menschen bis ins neunte Lebensjahrzehnt hinein überwiegend kein monokausal bedingter natürlicher Abbauprozess.
(2) Altern ist ein multikausal bedingter plastischer Prozess, in dem es Abbau– und Aufbauprozesse gibt, die signifikant von Bildung und Lebenssituation beeinflusst werden.
(3) Im Alter herrscht eine hohe individuelle Variabilität vor
Es gibt kurz gesagt kein verbindliches Bild des Alters und des Lebens im Alter mehr, das Alten zugemutet wird, das sie übernehmen oder gegen das sie sich auflehnen können – mit Ausnahme vielleicht der altehrwürdigen Defizit–Vorstellung. Wir wissen nicht, wozu die Alten sinnvoll eingesetzt werden sollen, welcher Ort und welche Funktion ihnen billigerweise zukommt, welche Funktion sie übernehmen sollen. Altern ist damit zu einer Aufgabe des Entwurfs geworden.
Sklaven, Leibeigene, Arbeiter, Juden, Frauen. All diesen Gruppen und ihren Emanzipationsbestrebungen ist gemeinsam, dass sie zunächst verstehen mussten, dass ihr Schicksal nicht natürlich bedingt ist und dass sie ihren gerechten Teil der Erde und des Himmels beanspruchen können, weil sie als Menschen ungeachtet aller Unterschiede gleichwertig sind. Das Problem der Verortung und Selbstverortung der Alten ist ein ähnliches Emanzipationsproblem.
Die Fähigkeit, Leistungen nach außen hin zu erbringen, lässt im Alter nach. Das, worauf unser Selbstwertgefühl sich vordergründig stützte, nimmt ab oder fällt praktisch ganz weg: Berufsarbeit, Produktivität, Einfluss, Aussehen. Auch Kursgenossen, Freunde, Bekannte werden uns genommen. Vielleicht kann man das Alter als die Phase des Lebens bezeichnen, in der Verluste nicht mehr ersetzt werden, sondern eine Lücke hinterlassen. Das kann manchmal sehr hart sein. Je mehr ein Mensch von seiner Arbeit und Leistung gelebt hat, umso schmerzlicher ist dieser Reifungsprozess. Denn eben das müssen wir alle lernen: Der Wert unseres Lebens und die Würde unserer Person sind tiefer verankert als in unserer Leistung und Produktivität.
Im Alten Testament wird zu Israel gesagt: „So spricht der Herr, fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir«. Das gilt im Neuen Testament für einen jeden von uns. Darin liegt meine Würde. Ein paar Verse weiter heißt es: „Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist und weil ich dich liebe.“ Im Epheserbrief lesen wir: „In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr dazu fähig sein, die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt“. Darin liegt die eigentliche Vollendung unserer Person und unseres Lebens. Das gilt für alle Phasen unserer Existenz.
Die eine Gefahr, besonders im Alter, ist die Erstarrung, Abschottung, die Nostalgie. Man klammert sich an der Vergangenheit fest, verschönert und idealisiert sie ein wenig und sucht darin eine Absicherung.
Die andere Gefährdung ist die Auflösung, das Sich-Gehenlassen, eine Art Kontur- und Ordnungslosigkeit, eine Unzuverlässigkeit, Geschwätzigkeit. Um diese Gefährdungen zu überwinden, gibt es zwei wichtige Hilfsmittel bzw. wesentliche Elemente der Reifung. Da ist zuerst der Humor. Es ist sehr hilfreich, dass man relativieren kann, dass man auch mal über sich selbst lachen kann, dass man etwas Spielerisches behält. Das hilft anzunehmen, was angenommen werden muss. Der Humor hilft, zu integrieren. Und das ist eben genau die Aufgabe: alles annehmen und verarbeiten, was das Leben mir gebracht hat. Und nicht zuletzt: Der Humor beeinflusst und verwandelt auch unser Gottesbild und unsere Gottesbeziehung; das ist manchmal eines seiner kostbarsten Geschenke. Eine englische Nonne aus dem 17. Jahrhundert betet:
Herr, du weißt es besser als ich selbst, dass ich älter werde und eines Tages alt bin. Bewahre mich vor der unheilvollen Angewohnheit zu meinen, ich müsse zu allem etwas sagen und das bei jeder Gelegenheit. Befreie mich von dem Verlangen, jedermanns Angelegenheit in Ordnung bringen zu wollen. Mache mich bedachtsam und nicht schwermütig, hilfsbereit, jedoch nicht herrschsüchtig.
Versiegle meine Lippen, was meine Schmerzen und Leiden anbelangt. Sie nehmen zu, und die Lust daran, sie aufzuzählen, wird wohltuender mit den Jahren.
Um soviel Gnade zu bitten, dass ich an den Erzählungen über die Schmerzen anderer Gefallen finden könnte, wage ich nicht; hilf mir jedoch, sie in Geduld zu ertragen.
Schenke mir die Fähigkeit, Gutes zu entdecken an Orten, an denen ich es nicht erwarte, und Begabungen in Menschen, denen ich sie nicht zutraue.
Und gib mir, oh Herr, die Gnade, es ihnen auch zu sagen. Amen.
Ein wesentliches Element des Reifens ist gewiss die Dankbarkeit, die den Geschenkcharakter des Lebens würdigt und feiert. Dankbarkeit bedeutet, das, was mir geschenkt worden ist, zur Quelle zurückzuführen; es nicht als selbstverständlich oder als Zufall hinzunehmen, sondern den Ursprung alles Guten anzuerkennen. Dankbarkeit setzt Vertrauen voraus. Einem Menschen gegenüber, dem ich nicht vertraue, kann ich nicht wirklich dankbar sein, weil ich dann immer das unangenehme Gefühl habe, nie zu wissen, was er oder sie eigentlich vorhat. Ich kann nur jemandem dankbar sein, dem ich vertraue. Wie der Humor hilft auch die Dankbarkeit, zu integrieren. In der Dankbarkeit kann ich vollständig annehmen. Sie führt zur Vollendung. In Psalm 103 heißt es: „Lobe den Herrn, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen!“
Das ist das Ideal, dass alles in mir Gott loben kann. Ein Mensch, der in Dankbarkeit wächst, kommt immer mehr zur Entfaltung. Dag Hammarskjöld sagte gegen Ende seines relativ kurzen Lebens: „Die Nacht nähert sich. Für alles, was war, Dank! Für alles, was kommt, Ja!‘“ Und Dietrich Bonhoeffer erklärte in einem Gebet am Silvesterabend: „Solange man nicht für alles, was gewesen ist, dankbar sein kann, kann man noch nicht richtig von diesem Jahr Abschied nehmen.“
Man muss dann noch ein bisschen „üben“, ein bisschen schauen, ob man nicht auch den schweren Dingen dieses Jahres, dieses Lebens eine gewisse Dankbarkeit abgewinnen kann. Nur in der Dankbarkeit wird etwas ganz angenommen; und nur in der Dankbarkeit kann es echte, reife Frucht bringen.