Ver­let­zung

Ver­let­zung

Es scheint kei­nen Le­bens­be­reich zu ge­ben, in dem wir nicht durch an­de­re ver­letzt wer­den kön­nen oder selbst an­de­re ver­let­zen. Wir kom­men nicht un­ver­letzt durchs Le­ben. Ob mit Ab­sicht oder aus Ver­se­hen, ob be­wusst oder un­be­wusst: Im­mer wie­der krän­ken wir an­de­re Men­schen und wer­den ge­kränkt. Man­che die­ser Wun­den ge­hen tief und wol­len ein­fach nicht hei­len. Ru­he­los krei­sen un­se­re Ge­dan­ken um die an­de­re Per­son und ihr ver­let­zen­des Ver­hal­ten. In uns schreit es em­pört auf: „Wie konn­test du mir das an­tun?!“  Wir wer­den mit dem, was pas­siert ist, nicht fer­tig, son­dern wie bei ei­nem End­los­band spie­len wir das ein­schnei­den­de Ge­sche­hen wie­der und im­mer wie­der durch. Die schmerz­haf­te Krän­kung wir­belt un­ser In­ne­res durch­ein­an­der. Wi­der­strei­ten­de Ge­füh­le zer­ren an uns und wer­fen uns aus der Bahn. Be­son­ders un­er­träg­lich wird es, wenn uns das be­klem­men­de Ge­fühl von Ohn­macht be­schleicht. Denn dann über­schwem­men uns Angst und Selbst­zwei­fel und wir füh­len uns wie ge­lähmt. Der­art tief ver­letzt zie­hen sich man­che von uns ver­ängs­tigt oder schmol­lend zu­rück, an­de­re ge­hen zum An­griff über.

  • Die tiefs­ten Wun­den un­se­res Le­bens sind Be­zie­hungs­wun­den. Wenn die­se nicht hei­len, dann dro­hen ver­letz­te Ge­füh­le und Er­in­ne­run­gen un­se­ren Le­bens­ho­ri­zont zu ver­dun­keln. Die Schat­ten der Ver­gan­gen­heit trü­ben den Blick für die Ge­gen­wart, und das mög­li­che Glück des Au­gen­blicks geht un­ge­se­hen vor­über. Stück für Stück ver­lie­ren wir in­ne­re Leich­tig­keit, Le­bens­freu­de und Liebesfähigkeit.
  • Wie be­wäl­ti­ge ich das Ge­sche­he­ne so, dass es mein Le­ben nicht auf Dau­er blo­ckiert und ein­engt? Wie fin­de ich den in­ne­ren Frie­den und ge­win­ne neu­en Mut, mich of­fen ei­nem Men­schen an­zu­ver­trau­en? Dazu kann vie­les ver­hel­fen. Eine hei­len­de Wei­se, den Ver­wun­dun­gen des Le­bens zu be­geg­nen, ist die Vergebung.

 

VER­GE­BUNG

  • Die Fra­ge, was uns hin­dert, an­de­ren zu ver­zei­hen, fin­det eine ers­te Ant­wort: Wir selbst hin­dern uns! Fal­sche Vor­stel­lun­gen von Ver­ge­bung „Lass doch die al­ten Ka­mel­len! Zieh ei­nen Strich un­ter die Ver­gan­gen­heit!“ oder: „Kind, wir ha­ben es doch nur gut ge­meint!“ Zu Recht weh­ren sich ver­letz­te Men­schen ge­gen der­art simp­le Rat­schlä­ge, die ei­nem wie ein Schlag ins Ge­sicht vor­kom­men. Nein, ver­ge­ben ist nicht ver­ges­sen! Es geht viel­mehr dar­um, dass wir uns an das Er­lit­te­ne an­ders er­in­nern. Bit­te­re Er­in­ne­rung geht mit ne­ga­ti­ven Ge­füh­len und Ge­dan­ken ein­her, etwa mit Wut, Schmerz, Angst oder Re­si­gna­ti­on. In­ne­re Ver­ge­bung zielt dar­auf, un­se­re schmerz­haf­te Er­in­ne­rung zu heilen.
  • Je­man­dem zu ver­ge­ben heißt, ihn auch los­zu­las­sen. Wenn ich mich wei­ge­re zu ver­ge­ben, will ich noch et­was von ihm. Auch wenn es Ra­che ist, die ich möch­te, hält mich das un­end­lich an ihn ge­bun­den. Wenn Sie nicht ver­ge­ben, be­stehen Sie auf et­was, das der­je­ni­ge, der Sie ver­letzt hat, wahr­schein­lich nicht ge­ben möch­te, selbst wenn es nur mal um das Ein­ge­ständ­nis gin­ge, dass er be­kennt, was er Ih­nen an­ge­tan hat. Dies »bin­det« Sie an ihn und rui­niert. »Ra­che ist süß« mag ein mo­men­ta­ner Ef­fekt sein, doch der Nach­ge­schmack ist an­ders: Mit mei­ner rä­chen­den At­ta­cke habe ich den an­de­ren zwar ver­letzt, aber da­durch ist mei­ne ei­ge­ne Ver­let­zung noch lan­ge nicht ge­heilt! Wenn wir uns ent­schlie­ßen, un­se­re Ver­ge­bungs­be­reit­schaft nicht mehr an das Schuld­be­kennt­nis des an­de­ren zu knüp­fen, dann ent­schei­den wir uns zu­gleich da­für, dass die er­lit­te­ne Krän­kung un­se­ren Le­bens­weg nicht dau­er­haft blo­ckie­ren darf. Wenn wir da­ge­gen dar­auf be­har­ren, dass die an­de­re Per­son ihre Schuld ein­ge­steht, be­wirkt dies oft das Ge­gen­teil: Meist leug­net sie ihre Schuld umso stär­ker, und die Fron­ten ver­här­ten sich noch mehr. So­lan­ge ich je­man­dem noch et­was nach­tra­ge, gehe ich nicht mei­nen ei­ge­nen Weg. Viel­mehr lau­fe ich ihm in Ge­dan­ken hin­ter­her und bin in in­ne­re Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit ihm verstrickt.
  • Möch­te ich aus der Op­fer­rol­le aus­stei­gen? Die­se Fra­ge ist be­deut­sam, denn nur, wenn wir aus der Op­fer­rol­le aus­stei­gen, kom­men wir auf dem Weg des Ver­ge­bens wei­ter! Dies kann sich in fol­gen­den Über­le­gun­gen und Ent­schlüs­sen kon­kre­ti­sie­ren: Will ich auf­hö­ren, den an­de­ren als al­lei­ni­ge Ur­sa­che für mein er­lit­te­nes Un­recht ver­ant­wort­lich zu ma­chen? Die­se Ent­schei­dung be­deu­tet nicht, dass ich den an­de­ren von der Ver­ant­wor­tung für sei­ne Tat ent­bin­de. Viel­mehr be­inhal­tet sie, mei­ne Ver­ant­wor­tung wahr­zu­neh­men, dass nur ich selbst mich aus der Op­fer­rol­le be­frei­en kann. Las­se ich ab vom Schuldprinzip?

 

VER­SÖH­NUNG

  • Wir soll­ten im­mer ver­ge­ben, aber
  • wir müs­sen uns nicht im­mer versöhnen.
  • Ver­ge­bung ist et­was, das wir in un­se­ren Her­zen tun; wir ent­las­sen je­man­den aus ei­ner Schuld, die er uns ge­gen­über hat. Für Ver­ge­bung ist nur eine Par­tei nö­tig: ich selber.
  • Wir kön­nen Ver­söh­nung an­bie­ten, aber sie muss da­von ab­hän­gen, dass die an­de­re Per­son zu ih­rem Ver­hal­ten steht und ver­trau­ens­wür­di­ge Ver­hal­tens­än­de­rung bringt.

 

Ver­ge­bung:

Ver­gib dei­nem Nächs­ten das Un­recht, dann wer­den dir, wenn du be­test, auch dei­ne Sün­den ver­ge­ben. Der Mensch ver­harrt im Zorn ge­gen den an­dern, vom Herrn aber sucht er Hei­lung zu er­lan­gen? Mit sei­nes­glei­chen hat er kein Er­bar­men, aber we­gen sei­ner ei­ge­nen Sün­den bit­tet er um Gnade?

Aus dem Buch Je­sus Sirach

 

Ver­söh­nung:

Wenn dein Bru­der oder dei­ne Schwes­ter Schuld auf sich ge­la­den hat, dann geh zu die­ser Per­son hin und stell sie un­ter vier Au­gen zur Rede.

Wenn sie auf dich hört, hast du dei­nen Bru­der oder dei­ne Schwes­ter zurückgewonnen.

Will sie da­von nichts wis­sen, nimm ei­nen oder zwei an­de­re mit, denn durch die Aus­sa­ge von zwei oder drei Zeu­gen soll jede Sa­che ent­schie­den werden.

Wenn dein Bru­der oder dei­ne Schwes­ter auch dann nicht hö­ren will, bring den Fall vor die Ge­mein­de. Nimmt die be­tref­fen­de Per­son selbst das Ur­teil der Ge­mein­de nicht an, dann be­hand­le sie wie ei­nen Gott­lo­sen oder Betrüger.

Aus dem Matthäusevangelium

 

GE­BET

Herr, mach mich zu ei­nem Werk­zeug Dei­nes Friedens:
dass ich lie­be, wo man hasst.
dass ich ver­zei­he, wo man beleidigt.
dass ich ver­bin­de, wo Streit ist.
dass ich die Wahr­heit sage, wo Irr­tum ist.
dass ich Glau­ben brin­ge, wo Zwei­fel droht.
dass ich Hoff­nung we­cke, wo Ver­zweif­lung quält.
dass ich Licht ent­zün­de, wo Fins­ter­nis regiert.
dass ich Freu­de brin­ge, wo der Kum­mer wohnt. Amen.