Ver­ge­bung

Wir kom­men nicht un­ver­letzt durch die­ses Le­ben. Ob ab­sichts­voll oder aus Ver­se­hen, im­mer wie­der krän­ken wir an­de­re und wer­den selbst ge­kränkt. Man­che die­ser Wun­den den tief- und wol­len ein­fach nicht hei­len. Ru­he­los krei­sen un­se­re Ge­dan­ken um das Ge­sche­he­ne und in­ner­lich schrei­en wir em­pört auf: ‚Wie konn­test du mir das nur an­tun.‘ Das gan­ze Durch­ein­an­der von Emo­tio­nen bringt un­se­ren All­tag aus den Fu­gen und lässt uns ein­fach nicht los. Die Fra­ge ist, wie kön­nen wir aus­stei­gen aus die­sem Kreis­lauf. Die christ­li­che Ant­wort dar­auf ist zu­nächst ein­mal eine ziem­lich simp­le und sie lau­tet: Vergebung.

 

Die tiefs­ten Wun­den un­se­res Le­bens sind Be­zie­hungs­wun­den. Wenn die­se nicht hei­len, dann dro­hen die ver­letz­ten Ge­füh­le und die Er­in­ne­run­gen an das Ge­sche­he­ne sich wie ein dunk­ler Schat­ten im Hier und Jetzt aus­zu­brei­ten. Es kann dazu kom­men, dass die Ver­gan­gen­heit die Le­bens­qua­li­tät in der Ge­gen­wart be­stimmt. Ich bin dann nicht mehr frei, ein selbst­be­stimm­tes und selbst­ge­führ­tes Le­ben in die Hand zu nehmen.

In sol­chen Mo­men­ten mag der Ge­dan­ke, dass Ra­che süß ist, ziem­lich ver­lo­ckend sein. Das Pro­blem ist nur, sie hat ei­nen ziem­lich bit­te­ren Nach­ge­schmack; denn auch wenn ich den an­de­ren ziel­si­cher ver­let­ze, heißt das noch lan­ge nicht, dass da­durch mei­ne ei­ge­ne Ver­let­zung wirk­lich ge­heilt wird. Au­ßer­dem führt Ra­che meis­tens dazu, dass die Stim­mung im ge­sam­ten Be­zie­hungs­um­feld ver­miest wird.

Je­man­dem zu ver­ge­ben, be­deu­tet vor al­len Din­gen und zu­erst ein­mal, ihn los­zu­las­sen. So­lan­ge ich nicht ver­ge­bungs­be­reit bin, will ich im­mer noch et­was vom an­de­ren. Ich tra­ge ihm stän­dig et­was nach und be­las­te da­mit nur mich selbst. Vor al­len Din­gen ver­brau­che ich mei­ne ge­dank­li­chen Ka­pa­zi­tä­ten, in­dem ich stän­dig in Aus­ein­an­der­set­zung da­mit bin, wie ich viel­leicht die Si­tua­ti­on hät­te an­ders re­geln kön­nen, oder wie ich im Nach­hin­ein noch zu mei­nem Recht komme.

Ich ver­brau­che mei­ne emo­tio­na­len Kon­tin­gen­te, in­dem mei­ne gan­zen Ge­füh­le im­mer noch in die Si­tua­ti­on, die eh nicht mehr zu än­dern ist, in­vol­viert sind. Das Pro­blem ist, ich be­schwe­re nur mich selbst, wäh­rend der an­de­re viel­leicht schon wie­der fröh­lich, un­be­schwert und leicht sei­ner Wege geht und an das, was er mir an­ge­tan hat, schon gar nicht mehr denkt.

Auch die For­schung hat ge­zeigt, dass man­geln­de Ver­ge­bungs­be­reit­schaft am Ende zu kör­per­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen führt. Schlaf­man­gel, Blut­hoch­druck und Ma­gen­be­schwer­den sind nur ei­ni­ge da­von. Ich scha­de mir durch man­geln­de Ver­ge­bungs­be­reit­schaft vor al­len Din­gen und zu­erst ein­mal nur selbst.

Die Ent­schei­dung zur Ver­ge­bung be­deu­tet nicht, dass ich den an­de­ren aus sei­ner Ver­ant­wor­tung für das Ge­sche­hen ent­las­se. Die Ent­schei­dung zur Ver­ge­bung be­deu­tet, dass ich Ver­ant­wor­tung für mich über­neh­me und mich ent­schei­de, aus der Op­fer­rol­le aus­zu­stei­gen. Ver­ge­bung ist zu­al­ler­erst mei­ne Auf­ga­be. Es geht um mein Ver­hält­nis zum Ge­sche­he­nen und um mein Ver­hält­nis zu der Per­son, die mir das Gan­ze an­ge­tan hat. Ver­ge­bung ge­schieht un­ab­hän­gig vom Gegenüber.

Die Bi­bel un­ter­schei­det fein säu­ber­lich da­von die Ver­söh­nung. Bei Ver­söh­nung geht es um die Wie­der­her­stel­lung mei­ner Be­zie­hung zum an­de­ren. Die setzt vor­aus, dass der an­de­re in der Tat Ver­ant­wor­tung für sein Tun über­nimmt, sich sei­ne Schuld ein­ge­steht und selbst ein In­ter­es­se dar­an hat, dass un­se­re Be­zie­hung wie­der auf neue und ge­sun­de Füße ge­stellt wird.

Wenn also die Bi­bel mich dazu auf­for­dert, stets ver­ge­bungs­be­reit zu sein, dann hat sie da­mit vor al­len Din­gen mein Wohl im Blick, da­mit ich end­lich wie­der un­be­schwert und un­ab­hän­gig vom an­de­ren mei­ner ei­ge­nen, frei­en und selbst­be­stimm­ten Wege ge­hen kann.