Leben ist tödlich. Die Tatsache, dass wir einmal sterben müssen, ist nicht verhandelbar.Sie ist schlicht und ergreifend gesetzt. Dennoch lassen wir uns nur ungerne an dieseWahrheit erinnern. Der Tod findet außerhalb vom bedruckten Papier und den Flachbildschirmen eigentlich gar nicht mehr statt. Wir haben ihn ausgelagert aus unserem Alltag in die Hospize, in die Krankenhäuser, in die Altenheime, auf diePalliativstationen unseres Landes.
Sterben muss jeder einmal, aber wahrhaft leben, das können nur die Wenigsten. Der Tod ist sicher, das Leben noch lange nicht. Es besteht die ernsthafte Gefahr, dass wir unser Leben verpassen wie ein Abend vor dem Fernsehen. Wir haben zugeschaut, aber nicht wirklich gelebt. Wir haben nicht gewagt, nicht riskiert, haben nicht mitgespielt. Gerade da könnte uns der Tod helfen, die Einzigartigkeit und Einmaligkeit dieses Lebens wieder besser in den Blick zu bekommen.
Der Tod ist daher deutlich besser als sein Ruf. Die Konfrontation mit dem Sterben führt dazu, dass sich die Problemlage verschiebt. Das eigentliche Drama ist nicht der Tod, sondern ein ungenutztes und verstrichenes Leben. Dass wir uns aufhalten mit all den kleinen Dramen des Alltags, mit all den Befindlichkeiten, auf die wir Rücksicht nehmen müssen. Die Anstandsregeln, die eingehalten werden wollen und die Karrieren, die geplant werden müssen. Macht das aber am Ende des Tages wirklich zufrieden? Der Tod kann da helfen, den Blick zu schärfen, Prioritäten neu zu setzen, Dankbarkeit zu lernen und inneren Frieden zu finden.
Die Kirche kennt dafür ein probates Mittel, eine gute Übung: Memento moriendum esse. Oder die Kurzform, die eher bekannt geworden ist: Memento mori – Mensch bedenke, dass du sterben musst, auf dass du weise wirst. Es geht darum, eine ganz einfache Wahrheit wieder in den Blick zu bekommen: Dieses Leben ist begrenzt. Das soll mich allerdings weder depressiv machen, noch in ein emotionales Tief ziehen – ganz im Gegenteil. Es soll mir helfen, die Fülle und Bedeutung dieses Lebens wieder klar zu kriegen. Angesichts seiner Endlichkeit, meines Sterbens und Todes will ich wissen, worauf es in diesem Leben wirklich ankommt. Wofür sollte ich mich investieren und einsetzen? Wo sollten meine Prioritäten liegen? Der Tod lädt dazu ein, Fragen zu stellen, die tiefer gehen.
In den letzten Stunden meines Lebens wird es eben nicht so sein, dass ich meinen besten Freund darum bitte, mein sauer verdientes und erspartes Geld vom Konto abzuheben, es mir ins Krankenhaus zu bringen und auf die Brust zu legen, damit ich mich noch einmal daran wärmen kann. Es wird auch nicht so sein, dass ich darum bitte, meinen Luxuswagen ein letztes mal durch die Waschanlage zu fahren, auf Hochglanz zu polieren und mir vors Krankenhausfenster zu stellen, damit ich einen letzten liebevollem Blick darauf werfen kann, bevor ich gehe.
Nein, um diese Dinge wird es nicht gehen. Sondern wahrscheinlich eher wie in dem Buch ‚fünf Dinge, die Sterbende bereuen‘. Dass wir uns am Ende darüber ärgern werden, dass wir zu viel Zeit in unsere Arbeit gesteckt haben, dass wir zu wenig unsere Gefühle geäußert haben, zu wenig Zeit mit unseren Freunden verbrachten und uns zu wenig erlaubt haben, glücklich zu sein.
Wenn man weiß, dass der Tod jeder Zeit eine reale Option ist, wird dieses Leben einfacher und die banalen Dramen des Alltags weitaus weniger wichtig. Außerdem birgt die mangelnde Bereitschaft, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen enorme Risiken. Denn irgendwann wird ein jeder von uns in diesem Leben mit dem Tod derjenigen Menschen konfrontiert werden, die uns unendlich wichtig sind und die wir lieben. Spätestens dann stellen sich existenzielle Fragen in einer ganz neuen Schärfe: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich und wofür lebe ich? In diesen krisenhaften Momenten dann eine Antwort zu finden, ist deutlich schwieriger als in den ruhigen Momenten vorab.
In diesem Sinne ist der Tod also ein freundlicher Mahner, die entscheidenden Fragen des Lebens nicht auf die lange Bank zu schieben, denn am Ende bedroht nicht der Tod mein Leben, sondern meine Entscheidung, es ungenutzt verstreichen zu lassen.