Jeder Mensch begeht Fehler und lädt Schuld auf sich. Es ist ein Geben und Nehmen: Man wird schuldig an uns und wir werden schuldig an anderen. Aber über die eigenen Fehler zu sprechen, das geht gar nicht. Nichts ist so intim wie eigene Schuld. Die Abwehrreaktionen und die schier peinlichen Verrenkungen, die unternommen werden, um über eigenes Fehlverhalten hinwegzutäuschen, die sind allenthalben spürbar und sehbar. Allerdings ist das für die seelische Gesundheit des Menschen auf Dauer wenig förderlich.
Warum sich der Mensch mit seiner Schuld so schwer tut, das ist relativ simpel und leicht erklärt. Schuld ist schmerzhaft. Zumindest die unverdrängte Schuld ist schmerzhaft, weil sie uns nur zu deutlich vor Augen führt, dass unsere Prinzipien nicht mit unseren Handlungen übereinstimmen. An diese Tatsache lassen wir uns nur ungern erinnern. Deswegen legen wir uns kompensierende Muster und Verhaltensweisen zu.
Eine zum Beispiel ist der Selbstbetrug. Wir etikettieren plötzlich schlechte Dinge als gut. Anstatt zu sagen: ‚Ich bin ein unglaublicher Egoist‘, sagen wir lieber: ‚Ich habe einen starken Willen. Ich weiß, was ich will und bin durchsetzungsstark.‘
Oder wir stilisieren uns zum Opfer und suchen uns Sündenböcke. Das, was uns Eltern, Freunde, Lehrer, Ärzte, Chromosomen und Gene ins Stammbuch geschrieben haben; was sie uns antaten, das wiegt so schwer, dass schon der schiere Hinweis darauf, dagegen etwas zu unternehmen, einer puren Beleidigung gleichkommt.
Allerdings vergessen wir darüber, dass wir Menschen immer noch die Macht und Kraft des Trotzdems besitzen. Es liegt in meiner Verantwortung mit dem umzugehen, was mir im Leben mitgegeben wurde. Es liegt daher auch in meiner Verantwortung, was für Konsequenzen daraus folgen. Wenn ich nicht bereit bin, die Verantwortung für meine Schuld und für mein schlechtes Verhalten zu übernehmen; wenn das alles nur Ergebnis von Erziehung und von Genetik ist, dann kann ich auf der anderen Seite mir auch meine guten Taten nicht zuschreiben. Weil auch die folglich nur das Ergebnis von Genetik, von Familie und sozialen Umwelteinflüssen sind.
So sehr wir also versuchen mögen, unsere Schuld zu verdrängen, am Ende landen wir damit in seelischen Sackgassen. Normalerweise haben wir ein Schuldgefühl, weil wir tatsächlich schuldig geworden sind. Das Gewissen in uns ist in der Regel eine gesunde Institution, die uns darauf hinweist, dass in der Tat etwas grundlegend schiefgelaufen und, dass tatsächlicher Schaden entstanden ist.
Sich dieses Schuldgefühl einzugestehen, das bedeutet aktive Arbeit, weil ich mich diesem Schmerz und dieser Auseinandersetzung stellen muss. Aber nur dann, nur dann werde ich erkennen, dass mein Wille, dass mein Charakter keine Automatismen sind, sondern beides Dinge, die sich entwickeln und an denen ich aktiv arbeiten kann. Das aber nur, wenn ich auch wirklich bereit bin, bewusst hinzuschauen, was ich mit meinem Verhalten manchmal anrichte.
Es liegt Schönheit in der menschlichen Freiheit. Aber wir tragen deswegen auch Verantwortung für unsere Taten. Indem wir uns unseren Schuldgefühlen, unseren Gewissensbissen stellen, eröffnet sich ein unglaublicher kreativer Handlungshorizont. Nur, wenn ich auch bereit bin, mir diese schmerzhaften Seiten meines Lebens einzugestehen, wenn ich mich bewusst mit ihnen in die Auseinandersetzung begebe, nur dann werde ich entdecken, dass ich auf Dauer anders handeln kann. Dass sich neue Spielräume für mein Tun eröffnen und, dass ich dann wirklich zu einem Menschen heranwachsen und heranreifen kann, der dazu in der Lage ist, zu sich selbst zu stehen in allem Guten wie negativen. Der bestenfalls sogar noch ein Vorbild für andere werden kann.
So viel Schönheit liegt selbst noch in menschlicher Schuld.