„Wer die Freundschaft aus dem Leben streicht, nimmt die Sonne aus der Welt«, schrieb der römische Staatsmann Cicero schon vor 2000 Jahren. Heute bestätigt auch die moderne Sozialforschung, wie wichtig das Miteinander für unser Wohlbefinden ist. Gerade in der individualisierten und globalisierten Gesellschaft der Gegenwart versprechen emotionale Bindungen zu anderen Menschen Unterstützung und Halt – ein Leben lang.
Eine Freundschaft, die ein Leben lang andauert, war das Ideal des Philosophen Michel de Montaigne. Ihm selbst war dies nicht vergönnt. Sein bester Freund Étienne de La Boétie starb im Alter von 33 Jahren.
Den Philosophen hat dieser schmerzhafte Verlust 20 Jahre später zu seinem legendären Essay »Über die Freundschaft« inspiriert.
- Darin macht er uns auf etwas Entscheidendes aufmerksam – nämlich dass Zeit ein wesentliches Qualitätsmerkmal von Freundschaften sein kann. »Bei der Freundschaft, von der ich spreche, verschmelzen zwei Seelen und gehen mit der Zeit derart ineinander auf, dass sie sogar die Naht nicht mehr finden, die sie einte.« Für ihn besteht das Wesen wahrer Freundschaft in ihrer Freiheit und Freiwilligkeit. Kein Zweck, kein Vertrag bindet und belastet sie.
- Gute Freunde sind einander vertraut und gehen doch eigene Wege; sie erklären sich und müssen sich doch nicht rechtfertigen; sie empfinden Zuneigung und dürfen dennoch Distanz halten.
- Wahlverwandte sind zudem toleranter als die Familie. Sie begegnen einander auf Augenhöhe, ohne Machtkämpfe, dafür mit viel Respekt. Die Andersartigkeit des langjährigen Freundes, seine Macken und Schwächen, seine Privat- und Intimsphäre zu respektieren, ist eine Selbstverständlichkeit.
- Nach Montaigne ist eine gute Freundschaft eine auf wechselseitigem Verständnis beruhende innige Beziehung. Ihr wichtigstes Merkmal ist die gegenseitige Anteilnahme. Das klingt banal und ist doch eine erste Hürde, an der viele Beziehungen scheitern, die eine Freundschaft sein wollen. »Gegenseitig bedeutet ausgewogen im Hin und Her des beiderseitigen Sich-Bemühens um den anderen. Wer immer nur hofhält, den Weg zum anderen aber nie findet, ist kein guter Freund«, schreibt Martin Hecht in seinem Buch »Wahre Freunde«.
- Bei guten Freunden gibt es ein gleichmäßiges Wechselspiel von Erzählen und Zuhören. Es geht um die Teilnahme, die wir dem anderen entgegenbringen. Teilnahme bedeutet dabei mehr, als nur jemanden irgendwie sympathisch zu finden. Ein Freund ist wahrhaft interessiert am Wohlergehen des anderen, sein Teilnehmen entspringt seiner Sorge oder auch Freude, sie ist ihm niemals nur Pflicht oder das Ergebnis einer guten Erziehung. »Teilnehmen bedeutet, sich nicht nur an den praktischen Problemen des anderen zu beteiligen, sondern vor allem am Gemütsleben, am Schicksal seiner Person, an seinem Leben teilzunehmen«, schreibt Martin Hecht. »Indem wir uns in persönlichen Dingen austauschen, erleben wir den anderen und durch ihn uns selbst. Dann erst gibt uns Freundschaft das Gefühl, dass wir zusammengehören, dann vermag sie diejenigen, die sie teilen, gegenseitig zu bestätigen.« Dieses gegenseitige Interesse an der Persönlichkeit des anderen macht den Unterschied einer Freundschaft zum Small Talk unter guten Bekannten aus.
- Der führende Glücksforscher Martin Seligman ist davon überzeugt, dass Glück nicht zum größten Teil aus Genüssen, sondern aus den guten Erinnerungen daran besteht, also aus dem Fundus gelungener Lebensmomente, die uns im Rückblick befriedigen und das Gefühl geben, glückliche Menschen zu sein. Bewährte Freundschaften sind niemals zu ersetzen; weil sich die gemeinsame Zeit, das gemeinsam Erlebte, das gemeinsam Verschmerzte und all die anderen Erfahrungen, die wir mit einem alten Freund teilen, nicht nachholen lassen.
- »Freundschaft braucht Offenheit, und zur Offenheit muss man sich trauen, vor allem zur Offenheit des Herzens«, schreibt Martin Hecht. »Offen und vertraulich-innig, sicher nicht rund um die Uhr, aber doch immer wieder zu bestimmten Anlässen« schreibt Hecht weiter. »Erst eine solche Offenheit ermöglicht das Gefühl unter langjährigen Freunden, Teil eines gemeinsamen Schutzbündnisses gegen die Außenwelt zu sein, das zusammengehalten wird von der untrüglichen Gewissheit, sich gegenseitig immer beizustehen.« Ein Schutzbündnis, durch das unsere durchschnittliche Lebenserwartung um 22 Prozent steigt, wie Forscher von der Universität Bielefeld herausfanden. Denn Gefühle von Nähe und Vertrauen drosseln die Freisetzung von Cortisol, einem Stresshormon, das nicht nur den Ausbruch von Erkältungen, sondern auch von Herz-Kreislauf-Krankheiten fördert. Zudem beschleunigt Stress das Wachstum von Tumoren. »Wir haben nachweisen können, wenn eine halbe Stunde vor einem Stresstest ein Proband auch nur sieben Minuten bei einem Freund gewesen ist, dann hat er nach dem Test einen deutlich geringeren Cortisol-Spiegel in seinem Speichel als Testpersonen ohne Freundesbesuch«, sagt der Zürcher Psychologe Markus Heinrichs. Festgestellt wurde außerdem, dass unser Körper in Momenten emotionaler Zuwendung das Hormon Oxytocin produziert. Bei regelmäßiger Oxytocinausschüttung sinkt der Blutdruck, und Krankheiten heilen schneller. Schon ein einziger Freund erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand von einem Herzinfarkt erholt, um 70 Prozent. Wissenschaftler sprechen von der Magie der Wahlverwandtschaft, die ja nur besteht, weil wir um unserer selbst Willen gemocht werden.
Der griechische Philosoph Aristoteles war der Ansicht, dass es drei Arten von Freundschaften gibt, die erstens wegen des gegenseitigen Nutzens, zweitens wegen der Lust Jahr für Jahr gepflegt werden. Und drittens, weil eine Seele zur anderen findet, die für ihn die eigentliche Freundschaft ausmacht. Psychologen sprechen heute von »differenzierten Freundschaften«: Mit der einen langjährigen Freundin gehen wir zum Sport und ins Kino, die andere gehört quasi zur Familie, und wieder eine andere ist unsere beste Therapeutin. Was sie jedoch alle eint, ist die tiefe Verbundenheit mit uns. Nur so entsteht die Möglichkeit zum freundschaftlichen Verständnis, ja zur Identifikation, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Zu dem Gefühl, das Michel de Montaigne als das Geheimnis wahrhafter Freundschaft beschrieb: »Wenn man in mich dringt zu sagen, warum ich Étienne de La Boétie liebte, fühle ich, dass nur eine Antwort dies ausdrücken kann: Weil er er war, weil ich ich war.«
GEBET:
Ich wünsche dir einen Freund, der Zeit für dich hat
und der zu dir hält, auch wenn du die Hoffnung verloren hast,
der zu seinem Wort steht
und dich nicht fallen lässt, wenn du ihn brauchst.
Ich wünsche dir einen Freund, der dir wirklich zuhört
und der deine Gedanken und Gefühle akzeptieren kann,
ohne dich mit Ratschlägen zu überschütten;
der aber auch wahrhaftig und offen und ehrlich ist
und der fähig ist, dir Kritik so zu sagen,
dass sie dich nicht verletzt, sondern weiterhilft.
Ich wünsche dir einen Freund,
der nicht neidisch ist auf das, was dir im Leben gelingt,
sondern der sich mit dir freuen
und dein Glück mit dir teilen kann,
der dich aber auch in deinen Misserfolgen nicht im Stich lässt
und sich nicht zurückzieht vor dem,
was schwierig und unbequem ist an dir.
Ich wünsche dir einen Freund, der gern mit dir zusammen ist
und deine Nähe teilen mag,
der aber auch deine Grenzen achtet
und das richtige Maß an Distanz wahren kann.
Ich wünsche dir,
dass auch du anderen ein solcher Freund sein kannst.