Vielleicht sollten wir die Feindschaft in gewisser Weise rehabilitieren. Es ist doch viel besser, wenn mir klar ist, was in mir feindselige Gefühle auslöst und ich mich dann dazu verhalte. Mich selbst frage, ist das angemessen? Möchte ich das ändern? Ich würde sagen, das Christentum ist realistisch, indem es wahrnimmt, dass in der Welt Konflikte und eben dann auch feindliche Gefühle zum Menschsein dazu gehören.
Feindbilder gibt es, so lange es Menschen gibt. Feinde gibt es in der Politik, in Religionen, unter Kollegen, Nachbarn, in der Familie. Ehemals Liebende können zu Feinden werden, auch Eltern und Geschwister, Fußballteams, Chefs und Angestellte. Feindbilder sind ein beliebtes Mittel, um die eigene Sicht auf die Dinge zu ordnen. Der Feind ist der Fremde, von dem ich meine, er könnte mir gefährlich werden, weil er andere Ziele verfolgt als ich selbst. Weil er mit mir in Konkurrenz steht, weil ich aus meinen Vorurteilen das herausgreife, was mich zu einem abwehrenden oder den anderen unterwerfenden Handeln bringt. Emmanuel Levinas spricht davon, dass wir eine Allergie dem anderen gegenüber haben. Das heißt, wir halten nicht aus, dass es den oder die andere gibt. Daraus wird der Hass geboren, der sagt: Du sollst nicht sein.
Ist es überhaupt erstrebenswert, dass alle Menschen ausschließlich hehre Absichten verfolgen? Steckt hinter dem Phänomen der Feindschaft ein tieferer Sinn? Vom Dramatiker Karl Gutzkow ist der Satz überliefert:
„Halte dir einen tüchtigen Feind! Er wird dir ein Sporn sein, dich zu tummeln.“
Aus Sicht des Berliner Philosophen Wilhelm Schmid spricht einiges dafür, dass Feindschaft wichtig ist, ja, lebensnotwendig. Und zwar als Gegenpol zu Liebe und Freundschaft. Gleichsam als Rezept gegen Einseitigkeit oder Langeweile, sagt Schmid:
„Wir können nur leben, wenn wir Energie haben. Insofern wächst die Aufmerksamkeit darauf: Wo ist die größte Spannung? Die größte Spannung ist immer dort, wo die größten Gegenpole sind. Das scheint bei der Feindschaft fast noch stärker da zu sein als bei der Liebe. Bei der Feindschaft haben wir Gegenpole, die tatsächlich Plus und Minus sind. Und grundsätzlich ist diese Energie Leben.“
Wilhelm Schmid, Fachmann für Lebenskunst, plädiert dafür, diese Energie so zu lenken, dass sie konstruktiv wirkt und nicht zerstörerisch. Lieber die eine oder andere Bosheit aushecken, als dass sich das Böse in einem Menschen gefährlich anstaue, meint der Philosoph. Er nennt das die Kunst, sich Feinde zu machen.
Mit der Forderung „Liebt eure Feinde“ provoziert das Christentum bis heute. Zumal Menschen an dieser Forderung regelmäßig scheitern – oder daran nur scheitern können? Im Alten Testament ist wiederholt von Feindschaft die Rede: Kain und Abel werden aus Eifersucht zu Todfeinden. Kain erschlägt seinen Bruder. Ein Volk kämpft gegen ein anderes, manche Städte werden vollständig ausgelöscht. Auch die Psalmen beklagen den Feind und die Feindschaft.
Im Christentum spielen Frieden und Versöhnung eine zentrale Rolle. In Gottesdiensten wird regelmäßig gebetet für den Frieden, der zugleich als beliebtes Predigtthema gilt. Wo so viel von Einheit die Rede ist, bleibt wenig Platz für das, was trennt. Wo aber Konflikte unter dem Deckel gehalten werden, fehlt die Differenzierung.
Deswegen gilt es an dieser Stelle gut hinzuschauen. „Die Liebe freut sich an der Wahrheit“, wie es Paulus formulierte und sich zum Hochzeitsklassiker gemausert hat. Feindesliebe setzt also die Wahrheit voraus, anzuerkennen, dass es einen FEIND gibt. Jesus löst die Spannung zum Gegenüber nicht in Wohlgefallen auf. Die Kategorien sind festgelegt: Feind bleibt Feind. Er ist nicht mein Freund, mit dem ich auf ein nettes Pläuschchen Kaffeetrinken gehe. Was also heißt Feindesliebe? Der Hass sagt, du sollst nicht sein; es wäre besser, dich gäbe es nicht. Die Liebe sagt, ich will, dass du bist. Den Feind zu lieben, heißt anzuerkennen, dass auch er ein Geschöpf und Ebenbild Gottes ist – so unwahrscheinlich da auch scheinen mag. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ fußt genau darauf. Der Menschen als Ebenbild Gottes ist mit einer Würde ausgestattet, die ihm keiner nehmen kann, nicht einmal er sich selbst. Deswegen gibt es die feine biblische Unterscheidung zwischen dem Sünder und der Sünde. Die Sünde wird immer abgelehnt. Der Sünder nie, weil er Gottes Schöpfung bleibt.
Feinden wohl zu wollen als Feinden, um die Feindschaft auf eine Weise zu pflegen, die nicht zerstörerisch wird für beide Seiten. Feindschaft zu kultivieren, das ist das Ziel, nicht zuletzt auch das einer wehrhaften Demokratie, die Feindschaft herunter zu dimmen zur Gegnerschaft.
GEBET
Teile unserer Welt versinken im Chaos.
Vor Gewalt, Terrorakten und Kriegen
in der Ukraine, im Nahen und Mittleren Osten,
stehen wir oft sprachlos da.
hilf denen, die flüchten müssen,
bleib bei denen, die verzweifelt
und in Angst zurückbleiben,
stärke die, die jetzt sinnlos
um ihr Leben kämpfen müssen
und sich fürchten vor dem Tod.
tröste die Väter,
tröste die Kinder.
Wische ihre Tränen aus den Augen.
Tröste auch uns mit deiner Liebe.
wir beten für den Frieden in der Ukraine,
um Frieden in den Kriegsgebieten der Welt.
Lass uns an die Hoffnung glauben, dass alles gut wird.
Bleibe bei uns, bleibe bei mir, du mein Gott, des Friedens. Amen.