Per­fek­tio­nis­mus

Im­mer wie­der ge­lan­ge ich in die­sem Le­ben an ei­nen Punkt, an dem ich rea­li­sie­re, dass es ei­nen fun­da­men­ta­len Un­ter­schied gibt zwi­schen dem, wie ich bin und dem, wie ich sein soll­te. Und die ent­schei­den­de Fra­ge ist: Wie gehe ich mit die­ser Dif­fe­renz um? Re­laxt und ent­spannt, oder ge­trie­ben und ver­zwei­felt? Beim Per­fek­tio­nis­ten wird die­se Di­stanz zwi­schen dem Ist und dem Soll zu ei­nem Muss und das hat fa­ta­le Konsequenzen.

 

Hin­ter ei­nem über­trie­be­nen Per­fek­tio­nis­mus steckt oft­mals die Sor­ge, ein ent­schei­den­des Grund­be­dürf­nis die­ses Le­bens nicht be­frie­digt zu be­kom­men: Näm­lich an­ge­nom­men zu sein für das, was und wer ich bin. Aus lau­ter Sor­ge dar­um, wird der Per­fek­tio­nis­mus zu ei­nem Mit­tel, zum Zweck, sich An­er­ken­nung und Re­spekt zu ver­schaf­fen und zu er­ar­bei­ten. Um auf die­sem Wege un­ter Be­weis zu stel­len, dass ich Lie­be ver­dient habe.

So­mit ist der Per­fek­tio­nis­mus häu­fig auch das Sym­ptom für drei tief­lie­gen­de Ängs­te: Die Angst da­vor, ei­nen Feh­ler zu ma­chen und zu schei­tern und sich da­mit zu zei­gen, wie man ist: ver­letz­lich und schwach und be­schä­digt wie alle an­de­ren eben auch. Es ist die Angst da­vor, ab­ge­lehnt zu wer­den und die Angst um sich selbst.

Die­se drei Ängs­te grei­fen zu­meist gut in­ein­an­der be­kräf­ti­gen und be­stär­ken sich ge­gen­sei­tig und ma­chen den Per­fek­tio­nis­ten zu ei­nem Ge­trie­be­nen. Der Per­fek­tio­nist setzt also al­les dar­an, dass das Ist dem Soll zu 100 Pro­zent ent­spricht. Die­ses Muss treibt ihn so sehr an und be­raubt ihn so sei­ner Kräf­te, dass das Schei­tern die­ses We­ges letzt­end­lich schon vor­pro­gram­miert ist.

Da­mit ist der Per­fek­tio­nist ei­gent­lich ein lie­bens­wer­ter Mensch, der ein­fach nur nicht dar­an glau­ben kann, dass er wirk­lich lie­bens­wert ist.

Schaut man in die Bi­bel, dann stellt man fest, dass sie voll ist von Män­nern und Frau­en, bei de­nen eine Rie­sen­lü­cke klafft zwi­schen dem, wie sie sind und dem, wie sie sein soll­ten. Gleich­zei­tig stellt man al­ler­dings auch fest, dass Gott ein gro­ßes Herz für die­se Men­schen hat und, dass er ge­ra­de die­se Men­schen be­ru­fen hat, sei­ne gro­ßen und au­ßer­ge­wöhn­li­chen Wer­ke zu tun.

Mose zum Bei­spiel stot­ter­te und war ein Mör­der. Noah trank zu viel. Da­vid war zu jung als er be­ru­fen wur­de und wur­de aus Lei­den­schaft zum Mör­der. Gi­deon und Tho­mas wa­ren Zweif­ler. Jo­nah lief vor Gott da­von. Eliah war Burn­out ge­fähr­det. Je­re­mi­as war Selbst­mord ge­fähr­det. Pau­lus war ein Chris­ten­mör­der und und und …

Alle die­se Per­so­nen ha­ben Groß­ar­ti­ges voll­bracht und wa­ren auf gan­zer Li­nie Schwäch­lin­ge. Aber al­len die­sen Men­schen wur­de im Lau­fe ih­res Le­bens ei­nes klar: Sie müs­sen nicht ge­nü­gen. Sie müs­sen nicht aus ei­ge­ner Kraft ihr Le­ben be­wäl­ti­gen, son­dern es gibt ei­nen Gott, der ih­nen bei­ste­hen will mit sei­ner Kraft, mit sei­ner Stär­ke und mit sei­ner Zu­ver­sicht und vor al­len Din­gen mit sei­nem gro­ßen Zu­trau­en in ihre Möglichkeiten.

Selbst Je­sus Chris­tus hat un­ter mensch­li­chen Be­din­gun­gen ge­lebt und auch er muss­te ein­se­hen, dass er nicht an al­len Stel­len ge­nü­gen kann. Im­mer wie­der wird da­von be­rich­tet, dass Je­sus die Men­schen ein­fach hin und wie­der ste­hen ließ, wenn er an die Gren­zen sei­ner Kräf­te kam und sich in die Stil­le zu­rück­zog. Je­sus war im­mer für die Schwa­chen, die Kran­ken und die Hoff­nungs­lo­sen. Den­noch hat er sie nicht alle ge­heilt. Auch Je­sus konn­te der Über­ein­stim­mung zwi­schen dem Ist und dem Soll nicht im­mer zu 100 Pro­zent ge­nü­gen. Aber er ist nicht dar­an ver­zwei­felt. Er hat dar­auf ver­traut, dass es ei­nen Gott gibt, der die­se Dif­fe­renz mit uns aus­hält und mit uns trägt.

Wann im­mer uns der Per­fek­tio­nis­mus ver­sucht, ein Schnipp­chen zu schla­gen und an­zu­trei­ben zu Din­gen, die uns am Ende nicht gut­tun und die uns vor al­len Din­gen nie­mals das ge­ben wer­den, was wir uns er­seh­nen, näm­lich die Lie­be an­de­rer Men­schen. Wann im­mer wir wie­der an die­sem Punkt kom­men, soll­ten wir uns be­wusst ma­chen, was für Ängs­te und was für An­trei­ber uns ge­ra­de quä­len. Wir soll­ten sie mit den Wahr­hei­ten kon­fron­tie­ren, an die wir glau­ben. Es heißt in der Bi­bel ganz ein­deu­tig, al­les was du ge­macht hast, liebst du. Das ist eine Aus­sa­ge über Gott. Wenn Gott et­was nicht lie­ben wür­de, hät­te er es nicht ge­schaf­fen. Die Tat­sa­che also, dass ich exis­tie­re, ist der größ­te und ein­deu­ti­ge Be­weis da­für, dass ich lie­bens­wert bin. Wann im­mer die Ängs­te wie­der kom­men, wann im­mer ich mich wie­der in­fra­ge stel­le, soll­te ich mir die­se Wahr­heit wie­der be­wusst machen.