Liebe.Zeit.Tod

Liebe.Zeit.Tod

Die Tat­sa­che, dass wir ein­mal ster­ben müs­sen, ist nicht ver­han­del­bar. Sie ist ge­setzt. Im öf­fent­li­chen Raum wird an die­se Wahr­heit nur sel­ten er­in­nert. Üb­li­cher­wei­se wird der Tod, so gut das eben geht, ver­drängt – je­den­falls der leib­haf­ti­ge, der sich jen­seits von Flach­bild­schir­men oder be­druck­tem Pa­pier er­eig­net. Ir­gend­wo da drau­ßen in der gro­ßen wei­ten Welt kom­men Men­schen um, in Krie­gen, bei Na­tur­ka­ta­stro­phen oder weil es Ebo­la gibt. Doch das fin­det üb­li­cher­wei­se vie­le tau­send Ki­lo­me­ter von uns ent­fernt statt, nicht un­mit­tel­bar ne­ben­an. Ster­ben­de gibt es häu­fig nur noch im Kran­ken­haus, im Pfle­ge­heim oder im Hos­piz, weit weg von un­se­rem Alltag.

Es gibt da­her für je­den von uns eine hun­dert­pro­zen­ti­ge Ster­be­wahr­schein­lich­keit, aber lei­der kei­ne hun­dert­pro­zen­ti­ge Le­bens­wahr­schein­lich­keit. So spricht Wil­liam Wal­lace im Film Bra­ve­he­art: „Ster­ben muss je­der ein­mal, aber wahr­haf­tig le­ben, das kön­nen nur we­ni­ge!“ Es be­steht die erns­te Ge­fahr das Le­ben zu ver­pas­sen, wie ei­nen Abend vor dem Fern­se­her. Die Zeit ver­geht, wir sind be­schäf­tigt, un­ter­hal­ten. Wir ha­ben le­dig­lich zu­ge­schaut und uns trei­ben las­sen. Aber ge­lebt ha­ben wir nicht wirklich.

Die Si­cher­heit des To­des kann uns ei­nen in­ten­si­ven Blick auf die Ein­zig­ar­tig­keit des Le­bens er­mög­li­chen. Das geht aber nur, wenn wir be­reit sind die Si­cher­heit des To­des zu er­ken­nen, aus­zu­hal­ten und zu akzeptieren.

Da war zum Bei­spiel die ZDF-Fern­seh­mo­de­ra­to­rin Su­san­ne Con­rad. Zu­erst ver­lor sie die Mut­ter und er­krank­te dann selbst an Krebs. Lan­ge Zeit war nicht klar, ob sie ihre Krank­heit über­le­ben wür­de. Oder der jun­ge Leis­tungs­sport­ler Sa­mu­el Koch, der in der Sams­tag­abend­show „Wet­ten, dass …“ über Au­tos sprin­gen woll­te, da­bei auf tra­gi­sche Wei­se schwer ver­un­glück­te und bis heu­te mit schwers­ten Läh­mun­gen an ei­nen Roll­stuhl ge­fes­selt ist.

Die­se bei­den Schick­sa­le ste­hen nur stell­ver­tre­tend für vie­le, in de­nen Men­schen dem Tode ent­we­der ge­fähr­lich na­he­ka­men oder er ein­fach un­ge­fragt in ihr Le­ben ein­brach. Und je­des Mal be­rich­ten die Be­trof­fe­nen et­was Ähn­li­ches: Ihr Le­ben hat sich nach die­ser Be­geg­nung mit dem Tod ver­än­dert und zwar nicht nur zum Ne­ga­ti­ven. Ne­ben der Trau­er, all dem Schmerz und Schre­cken, die über sie her­fie­len und be­wäl­tigt wer­den woll­ten, hat das Le­ben über­ra­schen­der­wei­se an In­ten­si­tät und an Qua­li­tät ge­won­nen. Vie­le er­zäh­len da­von, eine neue Klar­heit ge­won­nen zu ha­ben für das, was ih­nen wich­tig ist und was eben auch nicht. Sie sind mu­ti­ger ge­wor­den und neh­men je­den Tag als ein kost­ba­res Geschenk.

Ob­wohl im­mer wie­der Men­schen da­von er­zäh­len, dass die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Tod sie wei­ter­ge­bracht hat, hält man sich die Tat­sa­che der ei­ge­nen Sterb­lich­keit lie­ber auf Ab­stand – selbst wenn die Be­rich­te mit in­ne­rer Ge­las­sen­heit, grö­ße­rer Dank­bar­keit & be­wuss­te­ren Be­zie­hun­gen als Lohn winken.

Me­men­to Mori: Be­den­ke, dass du ster­ben musst. Das soll Sie nicht in ein emo­tio­na­les Tief zie­hen und de­pres­siv wer­den las­sen. Ganz im Ge­gen­teil. Das Ziel ist, das Le­ben in sei­ner gan­zen Tie­fe zu be­grei­fen, kla­re Prio­ri­tä­ten zu ge­win­nen und die Zeit nicht un­ge­nutzt ver­strei­chen zu las­sen. Denn nicht der Tod an sich ist das Pro­blem, son­dern wel­che Be­deu­tung wir ihm geben.

Be­reits der grie­chi­sche Phi­lo­soph Epik­tet wuss­te, nicht die Din­ge selbst, son­dern die Mei­nun­gen dar­über be­un­ru­hi­gen die Men­schen. Wie recht er hat­te. Nicht der Tod ängs­tigt uns, son­dern un­se­re Ge­dan­ken dar­über. Wir füh­len, wie wir den­ken. Und schlech­te Be­wer­tun­gen be­un­ru­hi­gen, schwä­chen und be­drü­cken uns nur, statt uns zu motivieren.

Wie bei an­de­ren Ge­wohn­hei­ten auch, braucht es auch bei un­se­ren Denk­ge­wohn­hei­ten Be­wusst­heit und Übung, um sie zu ver­än­dern. Eine Ge­wohn­heit zeich­net sich ja ge­ra­de da­durch aus, dass sie fest ein­pro­gram­miert ist und ohne gro­ßes Zu­tun ab­ge­ru­fen wird. Be­son­ders schwer zu än­dern sind ge­sell­schaft­li­che Über­zeu­gun­gen, von de­nen man die meis­ten be­reits als Kind über­nimmt. Mit ei­ner ein­ma­li­gen Er­kennt­nis ist es nicht ge­tan. In­dem wir er­ken­nen, dass wir ster­ben, sucht un­ser In­ne­res nach tie­fe­ren Ant­wor­ten, nach mehr als dem Vor­der­grün­di­gen, nach blei­ben­den Dingen.

Gian Do­me­ni­co Bor­a­sio schrieb ein Buch mit dem Ti­tel „Über das Ster­ben“. Dar­in hält er fest, dass der Tod von vie­len Men­schen als nar­ziss­ti­sche Krän­kung emp­fun­den wird. Der mo­der­ne Mensch ist schlicht­weg be­lei­digt, dass er ster­ben muss! Doch bleibt zu­rück­zu­fra­gen, ob ein ewi­ges Le­ben un­ter den Be­din­gun­gen un­se­rer Welt über­haupt wün­schens­wert wäre? Ir­gend­wann wür­de auch der sor­gen­frei­es­te und mit ma­xi­ma­len Ge­nüs­sen an­ge­füll­te Le­bens­wan­del lang­wei­lig wer­den. Ein Le­ben ohne Tod wür­de ir­gend­wann al­les be­deu­tungs­los ma­chen. Kei­ne Ent­schei­dung hät­te Ge­wicht; denn zu je­der Zeit könn­te sie re­vi­diert und ab­ge­än­dert wer­den. Be­den­ken Sie, es gäbe kei­ne ein­zig­ar­ti­gen Mo­men­te, weil al­les end­los zu wie­der­ho­len wäre. Die Zeit, die Be­ge­ben­hei­ten, die Be­zie­hun­gen wür­de ih­ren Wert verlieren.

In die­ser Hin­sicht ist der Tod rich­tig be­trach­tet ein hilf­rei­cher, freund­li­cher Mah­ner, die wich­ti­gen Din­ge des Le­bens, für die sich un­ser Ein­satz und En­ga­ge­ment loh­nen, nicht auf die lan­ge Bank zu schieben.

Die bei­den viel­leicht wich­tigs­ten Werk­zeu­ge, um das Ster­ben in klei­nen Schrit­ten ein­zu­üben, sind Stil­le und Ein­sam­keit. Dal­las Wil­lard nann­te die­se bei­den Übun­gen so­gar die ra­di­kals­ten im Le­ben ei­nes Chris­ten. Solch stil­le Zei­ten, soll­te man sich re­gel­mä­ßig ge­ben, um den Blick wie­der zu klären.

 

PRAK­TISCH:

Geht man da­für z.B. auf den Fried­hof, kann und wirft ei­nen Blick auf die zahl­lo­sen Grab­stei­ne, dann re­du­zier­te sich das Le­ben ei­nes je­den Men­schen auf ein Ge­burts­da­tum, ei­nen Strich und ein Ster­be­da­tum. Das Le­ben nahm sei­nen An­fang, ein Strich und das Le­ben en­de­te. Der Strich zwi­schen den bei­den Da­ten um­fass­te al­les, was die­se Men­schen dach­ten, ta­ten und fühl­ten. Die­ser Strich, das war ihr Le­ben. Und auf den kommt es an, den sinn­voll zu füllen.

Die Bot­schaft von Kreuz und Auf­er­ste­hung lau­tet: Schau dem Tod ins Ge­sicht und er­ken­ne, es ist dein Tod. Gott hat ihn an dei­ner Stel­le auf sich ge­nom­men. Das Pro­blem mei­nes Ster­bens ist an die­sem Kreuz ge­löst wor­den, so­fern ich die­sen Tod für mich gel­ten las­sen will. So wie Gott sei­nen Sohn nicht dem Tod über­las­sen hat, will er auch mich nicht dem Tod über­las­sen. Aus christ­li­cher Per­spek­ti­ve hat der Tod da­mit sei­nen Schre­cken ver­lo­ren. Aus die­ser Über­zeu­gung kann Pau­lus die Wor­te sa­gen, die wir heu­te so oft auf Be­er­di­gun­gen hö­ren: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo bleibt nun dei­ne Macht? (…) Dank sei Gott! Er schenkt uns den Sieg durch Je­sus Chris­tus, un­se­ren Herrn!“ (1. Ko­rin­ther 15,55.57)

Wie wird man also sei­ne To­des­angst los? – Das ist die fal­sche Fra­ge. Wo­für lebe ich? Was will ich mit mei­nem Le­ben un­be­dingt an­fan­gen? Was wür­de feh­len, wenn ich es nie täte? Mit die­sen Fra­gen be­gibt man sich auf die rich­ti­ge Spur.

 

GE­BET

HERR, so­lan­ge es Men­schen gibt, bist du un­se­re Zuflucht!
Du bist ohne An­fang und Ende.
Die Men­schen ver­ge­hen wie das Gras:
Mor­gens sprießt es und blüht auf,
doch schon am Abend welkt und ver­dorrt es im hei­ßen Wüstenwind.
Un­ser Le­ben dau­ert sieb­zig, viel­leicht so­gar acht­zig Jahre.
Doch al­les, wor­auf wir stolz sind, ist nur Mühe, viel Lärm um nichts!
Wie schnell ei­len die Jah­re vor­über! Wie rasch schwin­den wir dahin!
Mach uns be­wusst, wie kurz das Le­ben ist, da­mit wir un­se­re Tage wei­se nutzen!
HERR, wen­de dich uns wie­der zu!
Schen­ke uns dei­ne Lie­be je­den Mor­gen neu!
Dann kön­nen wir sin­gen und uns freu­en, so­lan­ge wir leben!
HERR, un­ser Gott! Zei­ge uns dei­ne Güte!
Lass un­se­re Mühe nicht ver­geb­lich sein!
Ja, lass un­se­re Ar­beit Früch­te tragen!
Amen.

 

Psalm 90