Hätte Gott nicht ein kleines Wunder wirken können, um so das Stottern ein für alle Mal zu heilen? Doch so wirkt Gott nicht. Er lehnt seine Ausrede mit dem Stottern schlicht ab und gibt ihm einfach einen neuen Mund. Aaron soll ihm helfen (Ex 4,14–16) Gott macht nicht einfach alles ungeschehen. Er will, dass sich Mose entwickelt, dass er sich seinen Schwierigkeiten und Problemen stellt, nur so kann er wirklich zu dem Anführer heranwachsen, den es für den Auszug aus Ägypten braucht. Gott – und das kann eine schwierige und schmerzvolle Wüstenlektion sein – ist kein magischer Alles-wird-wieder-gut-Heiler, der den Menschen die Arbeit abnimmt. Gott will, dass wir selbst die Probleme lösen, dass wir an ihnen wachsen und dass wir so zu unserer eigenen Größe finden.
Das mag wie eine Zumutung aussehen, und ohne jeden Zweifel ist es das auch. Aber mit dieser Zumutung konfrontiert uns Gott vor dem Hintergrund, dass er uns zutraut, dass wir sie schaffen. In ihr ist außerdem eine Absage an ein vorschnelles Aufgeben enthalten, an Sätze wie: »Das schaffe ich doch eh nicht.« Gott hält dagegen und sagt dem Mose, und damit auch uns: »Geht nicht, gibt’s nicht.« Nicht etwa derjenige, der etwas wagt, sondern der, der es gar nicht erst probiert, versagt.
Gott akzeptiert nicht, dass wir unsere Schwächen nicht akzeptieren, er will, dass wir sie erkennen, er will aber auch, dass wir gegen sie angehen. Gott ist anspruchsvoll. Und mit diesem Anspruch hilft er uns, wir selbst zu werden. Die Geschichte von Mose als Stotterer und wie er damit umgeht, macht Mut, sie nimmt aber auch in die Pflicht. Gottes Anspruch ist jedoch nicht maßlos. Gott weiß, was er Mose »zumessen« kann, ist »angemessen«. Er fordert, aber überfordert nicht, selbst wenn es sich manchmal im ersten Moment so anfühlen mag. Und er hilft uns, diesem Anspruch gerecht zu werden.
Es ist kein Zufall, dass Moses Einwand, er sei ein Stotterer, der letzte Widerstandsversuch gegen seine Beauftragung durch Gott ist. Als er eigentlich schon gar nicht mehr in der Öffentlichkeit stehen und wirken, als er nur noch im Privaten und mit seiner Familie leben will, fordert Gott ihn auf. Und als Mose seinen Widerstand aufgibt, als er seine eigenen Abwehrgründe, Probleme und Ängste bezwingt, als er Zeichen wirkt, die nicht die seinen, sondern Gottes Zeichen sind, da erkennt ihn das Volk an. Indem Mose klarmacht, dass Gott der Anführer ist und nicht er, wird er erst eigentlich zum Anführer. Es geht nicht mehr um ihn und seinen Ruhm, sondern um den Ruhm Gottes und um das Volk. Größeres, Wichtigeres steht im Vordergrund, und das überzeugt das Volk. Danach heißt es nur noch: »Mose machte sich auf, kehrte zu seinem Schwiegervater Jitro zurück und sprach zu ihm: Ich möchte wieder zu meinen Verwandten nach Ägypten zurückkehren und sehen, ob sie noch am Leben sind.« (Ex 4,18)
Vertrauen muss verdient sein. Durch eigenen Einsatz und sei es, dass wir dafür eigene Schwächen bekämpfen müssen. Das Volk erkennt Mose vielleicht auch deshalb an, weil es spürt, dass da kein strahlender Held kommt, sondern einer mit Problemen, mit Schwierigkeiten, ein Mensch wie jeder andere aus diesem Volk. Einer, der deshalb weiß, was es bedeutet, gefangen zu sein: gefangen in der eigenen Angst und Unsicherheit, gefangen in der Hybris und Selbstüberschätzung, gefangen im eigenen Körper, gehalten von den Fesseln der eigenen Unzulänglichkeiten. Einer, der sich aber gegen diese Fesseln wehrt, der sie abzustreifen versucht, der manche auch loswird und der sich nicht als Knecht oder Sklave halten lässt. So einen akzeptieren die Menschen – weil sie spüren, dass er weiß, was das Wort Freiheit bedeutet. Wie es riecht und schmeckt, wie der Hunger nach Freiheit schmeckt. Es ist schwer zu begreifen, was Hunger ist, wenn man den Hunger selbst nie erlebt hat.
Mose wird bei seiner Rückkehr nach Ägypten das Trauma seines Scheiterns los. Zugleich erlebt er, der Stotterer, wie mächtig das Wort ist. Sein Zorn und seine Aggression hatten ihn sprachlos gemacht, hatten ihn durchdrehen lassen. Mose hatte zum Stein gegriffen statt zum Wort. Doch darin liegt seine Katastrophe begründet. Die Warnung Jesu an seine Jünger, nicht zum Schwert, also zur Gewalt zu greifen, schwingt hier mit. Die Macht des Wortes wird gerade durch den Stotterer Mose bewiesen.
Als er zur Gewalt greift und den Ägyptischen Aufseher erschlägt, als es ihm die Sprache verschlägt, scheitert er. Nicht einmal sein eigener Stamm will etwas mit ihm zu tun haben. An dieser Stelle kommt noch einmal das Wörtchen »tēvāh« ins Spiel. Es bedeutet so viel wie »Kästchen« oder »Kasten« und stellt eine innere Verbindung her zwischen der Arche Noah und dem kleinen Kasten, in dem Mose auf dem Nil ausgesetzt wurde. Beide »Kästen« sind Instrumente der Rettung – und hier kreuzen sie sich mit einer dritten Bedeutung von »tēvāh«. »Tēvāh«, das ist auch das Wort, das rettet. Mose ist kein Mann des Wortes, sein Leben lang nicht. Dieser Anführer, dieser Befreier der Israeliten aus der Gefangenschaft ist selbst gefangen, gekettet an die Begrenztheit seiner Sprache. Mose, zumindest der frühe und junge Mose, ist kein Mann des Wortes, sondern eher einer, der auf Gewalt setzt. Er ist kein Mann des Gesprächs, sondern einer der Tat. Mose scheitert daran, dass er sich von seinen Emotionen übermannen lässt. Er muss erst noch lernen, das Wort zu führen, damit er Menschen führen kann. Er muss erst noch ein Wortführer werden. Nur als Wortführer kann er helfen, sein Volk zu retten. Dass er dabei genau auf seine Worte achten muss, dass er manchmal auch an die Grenzen dessen stößt, was Sprache kann, das wird er später erfahren müssen. Doch immer wieder macht er auch die Erfahrung – und sei die Situation noch so verworren, die Lage noch so gefährlich: Das Wort rettet. Und auf das Wort Gottes ist Verlass, so wie es dann im Neuen Testament im sogenannten Johannesprolog versprochen wird: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. (Joh 1,1ff.) Dieses Wort ist Jesus selbst, der gestorben ist für uns, um zu beweisen, dass Gott wirklich verlässlich ist und zu seinen Versprechen steht!
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