In­nen­le­ben

Wohl kei­ner von uns steht mor­gens auf und sagt: Ab heu­te wer­de ich ein ober­fläch­li­cher Mensch. Den­noch kann es pas­sie­ren, dass uns un­ser In­nen­le­ben ent­glei­tet, dass uns im Tru­bel des All­tags, die Din­ge ab­han­den­kom­men und aus dem Blick ge­ra­ten, die uns ei­gent­lich wich­tig und be­deut­sam sind. Wir ge­ben uns manch­mal schnell dem Drin­gen­den hin, was un­be­dingt jetzt er­le­digt wer­den will und muss und op­fern da­für das Wich­ti­ge, das, was uns auf Dau­er wei­ter­bringt, was uns als Per­sön­lich­kei­ten wach­sen und rei­fen lässt. Des­we­gen scheint es hin und wie­der ganz an­ge­bracht, dass wir un­ser In­nen­le­ben et­was mehr kul­ti­vie­ren.  

 

Wirft man ei­nen Blick auf Jesu mah­nen­de Wor­te, so stellt man fest, dass er im­mer wie­der drei Din­ge an­führt, die das Po­ten­ti­al be­sit­zen, un­ser In­nen­le­ben zu er­sti­cken: die Sor­gen, das Geld und der Ge­nuss. All die­se Din­ge sind per se nicht schlecht. Aber sie kön­nen eine Ei­gen­dy­na­mik ent­wi­ckeln, un­ter der Vie­les in un­se­rem Le­ben er­drückt wird.  

Die Sor­gen wer­den im Lau­fe des Le­bens mehr. Schlicht und er­grei­fend durch die wach­sen­de Ver­ant­wor­tung, die wir im Le­ben tra­gen für un­se­ren Be­ruf, un­se­re Be­zie­hun­gen, die Fa­mi­li­en, die ge­grün­det wer­den und für all die Din­ge, wo ich in der Pflicht ste­he.  

Auch das Geld kann sol­che eine Ei­gen­dy­na­mik ent­wi­ckeln. Zwar wer­den wir nicht alle reich, aber mit Blick auf Au­tos, Ur­lau­be, mit Blick auf das, was uns wich­tig ist, auf un­se­ren Life­style, bleibt die boh­ren­de Fra­ge, ist das auf lan­ge Sicht noch fi­nan­zier­bar und trag­bar? Da­mit wird das Geld zwangs­läu­fig zu ei­nem be­stim­men­de­ren The­ma.  

Auch der Ge­nuss kann ein Ei­gen­le­ben ent­wi­ckeln, das nicht nur von Vor­teil ist. Ge­ra­de wäh­rend der Co­ro­na­zeit ha­ben sich be­stimmt man­che ge­dacht, ‚man gönnt sich ja sonst nichts‘. Da­mit kön­nen Ge­wohn­hei­ten ins Le­ben Ein­zug hal­ten, von de­nen man sich nur schwer wie­der tren­nen kann, die aber ehr­li­cher­wei­se rei­ne Kom­pen­sa­ti­on und we­ni­ger ein Ge­nuss­mo­ment sind.  

 

Die Bi­bel wird nicht müde auf den Fakt hin­zu­wei­sen, dass das Gute in un­se­rem Le­ben oft­mals mit har­ter Ar­beit und viel Pfle­ge er­run­gen wer­den will. Das Schlech­te dem­ge­gen­über wächst meis­tens von al­lein. Dass muss man sich nur im Vor­gar­ten an­schau­en. Dass Un­kraut kommt von ganz al­lein, die Zier­pflan­zen al­ler­dings wol­len ge­hegt und ge­pflegt wer­den. Eine Spra­che er­lernt man zu­meist durch viel Übung, mit Fleiß und Zeit. Die Vo­ka­beln zu ver­ges­sen, das wie­der­um geht ganz ein­fach.  

So weist Je­sus dar­auf hin, dass das Au­ßen in un­se­rem Le­ben, dass all das, was uns um­gibt, manch­mal mas­sivst auf uns ein­dringt und das In­nen­le­ben da­bei zu kurz kommt: die schie­re Ge­schwin­dig­keit und das Tem­po mit der un­se­re Ge­sell­schaft im All­tag un­ter­wegs ist. Die schie­re Mas­se an In­for­ma­tio­nen, die auf uns ein­pral­len und die wir gar nicht mehr ver­ar­bei­tet be­kom­men. Der Hang uns manch­mal schlicht und er­grei­fend zu be­täu­ben, um ir­gend­wie dar­aus aus­zu­stei­gen und zu ent­flie­hen. Das macht es uns schwer, den Weg nach In­nen an­zu­tre­ten, weil wir Angst da­vor ha­ben. Angst, dass sich beim Blick auf un­ser In­nen Din­ge mel­den, die wir gar nicht so gern in Blick neh­men wol­len, bei de­nen wir uns schwer­tun, sie an­de­ren zu er­zäh­len und die wir ger­ne vor uns selbst ver­heim­li­chen wür­den.  

Der Weg nach In­nen fällt auch des­we­gen schwer, weil sich Wi­der­stän­de auf­tun. Weil un­ser Ent­schei­dungs­mus­kel ge­for­dert ist, sich so nutz­lo­se und zweck­freie Zeit ein­zu­pla­nen. Es fällt uns auch schwer, weil wir ak­tiv ler­nen müs­sen, nein zu sa­gen. Denn von al­lein tun sich die Frei­räu­me, in de­nen wir be­wusst Zeit fin­den, den Blick auf uns selbst zu wen­den, nicht auf.  

 

So gibt es zwar in uns Men­schen die­se Sehn­sucht nach ei­nem in­ne­ren Ort, an dem wir mit uns selbst im Rei­nen sind. Aber der wird sich nur bil­den und ent­ste­hen, wenn wir uns ak­tiv dar­um be­mü­hen. Auch wenn wir um die Din­ge wis­sen, die da­für nö­tig sind, müs­sen wir doch manch­mal dar­an er­in­nert wer­den.  

Es braucht den Mut zur Stil­le. Es braucht den Mut zu ab­len­kungs­frei­er Zeit, wo kein Han­dy uns stört, kei­ne Mu­sik uns zu­dröhnt und kei­ne Men­schen uns her­aus­rei­ßen kön­nen, wo wir wirk­lich mit uns selbst kon­fron­tiert sind. Da­mit sich die Din­ge un­se­res Le­bens mel­den kön­nen, die dran und wich­tig sind.  

Es braucht ein Be­mü­hen um Spi­ri­tua­li­tät, ein Be­mü­hen um un­ser Glau­bens­le­ben, um un­se­re in­ne­ren Über­zeu­gun­gen. Auch da­für müs­sen wir ak­tiv et­was tun, da­mit wir sie nicht den Prin­zi­pi­en und Not­wen­dig­kei­ten des All­tags op­fern. 

Was es auch braucht, ist Kon­takt zu mir selbst ge­mäß der Fra­ge: Wann spürst du dich ei­gent­lich? Da­mit mei­ne ich kei­ne phy­sio­the­ra­peu­ti­sche Übung, son­dern den gu­ten deut­schen Sprich­wör­tern wie­der Raum zu ge­ben und ih­nen Ge­wicht zu ver­lei­hen. Was las­tet auf dei­nen Schul­tern? Was sitzt dir im Na­cken? Was ist dir auf den Ma­gen ge­schla­gen und was steckt wie ein Kloß in dei­nem Hals? Wann spü­re ich mei­nen Kör­per, der mir deut­lich si­gna­li­siert, wo in mei­nem Le­ben et­was in Schief­la­ge ge­ra­ten ist? 

Wo ha­ben wir Raum für Krea­ti­vi­tät in un­se­rem Le­ben? Un­se­re Krea­ti­vi­tät ist es, die uns gott­eben­bild­lich sein lässt. Was Gott aus­macht, ist, dass er schafft, dass er Din­ge ent­ste­hen lässt, die vor­her nicht da wa­ren. Ge­nau das ist das gro­ße Po­ten­ti­al des Men­schen, das ihn vom Tier un­ter­schei­det. Wir kön­nen Din­ge ent­ste­hen las­sen, die es vor­her nicht gab, schlicht und er­grei­fend Kraft un­se­rer Phan­ta­sie und un­se­res Vor­stel­lungs­ver­mö­gens. Das al­ler­dings braucht Raum. Und das Ein­fachs­te, das zu ent­wi­ckeln, ist das Spiel. Wann ha­ben wir das letz­te Mal ge­spielt? Wann ha­ben wir das letz­te Mal zweck­freie Zeit ge­nos­sen und uns dem hin­ge­ge­ben, was für Kin­der so selbst­ver­ständ­lich ist? Die aus ei­nem Löf­fel gan­ze Raum­schif­fe und Flug­zeu­ge ent­ste­hen las­sen kön­nen.  

Und ein ganz wich­ti­ger Fak­tor, weil er uns durch­trägt, sind Her­zens­be­zie­hun­gen. Wo habe ich Men­schen, mit de­nen ich mich auf ei­ner tie­fe­ren Ebe­ne ver­bun­den füh­le, wo ich er­le­ben kann, dass wir uns über die Zweck­mä­ßig­kei­ten des Small­talks im All­tag hin­aus un­ter­hal­ten. Dass wir an Din­ge rüh­ren, die sonst im All­tag kei­nen Raum und kei­nen Platz ha­ben. Wo habe ich Men­schen, bei de­nen ich mich las­sen darf, bei de­nen ich sein kann mit al­lem, was ich bin. In den gu­ten Mo­men­ten und auch in den Mo­men­ten, wo ich mich selbst nur schwer er­tra­gen kann. Die­se Be­zie­hun­gen sind es wert, dass wir sie pfle­gen und viel Zeit in sie hin­ein in­ves­tie­ren. Ja, da­mit wird der Be­zie­hungs­ho­ri­zont klei­ner, aber er wird umso fo­kus­sier­ter und tra­gen­der.  

 

Das, was Je­sus den Men­schen gön­nen möch­te, in­dem er im­mer wie­der auf die Not­wen­dig­keit des In­nen hin­weist, in­dem er nicht müde wird zu be­to­nen, dass wir uns im­mer wie­der zu­rück­zie­hen sol­len aus den all­täg­li­chen Ge­schäf­ten, ist, dass wir ei­nen Le­bens­stil kul­ti­vie­ren, der in­ten­siv ist, uns aber nicht ver­aus­gabt, ei­nen Le­bens­stil, bei dem wir uns hin­ge­ben, der uns aber nicht ver­brennt und ei­nen Le­bens­stil, der sinn­erfüllt ist, weil er es im­mer wie­der schafft, das Wich­ti­ge und das Ent­schei­den­de im Blick zu behalten.