Himm­li­sches Leben

Himm­li­sches Leben

Die grie­chi­sche Ent­spre­chung für “hei­lig” lau­tet „ha­gios”. Die Kern­be­deu­tung ist „an­ders­ar­tig“. Mit Voll­kom­men­heit hat der Be­griff nichts zu tun. Die he­bräi­sche Ent­spre­chung ist „ka­do­sch“, was „besonders/abgesondert“ bedeutet.
Als der Pro­phet Je­sa­ja in sei­ner Vi­si­on den HERRN auf ho­hem und er­ha­be­nem Thron sieht, hört er die Se­ra­phim zu­ein­an­der sprechen:

Hei­lig, hei­lig, hei­lig ist der HERR der Heer­scha­ren…“ (Je­sa­ja 6,3).

Hei­lig­keit ist ein We­sens­zug Got­tes, et­was, das Gott zu­tiefst ist und ihn be­schreibt. Gott ist so ab­ge­son­dert und völ­lig un­ter­schie­den von al­lem, was wir Men­schen er­ken­nen und ver­ste­hen können.
Hei­lig­keit ist kei­ne Ei­gen­schaft, son­dern er­wächst aus ei­ner Be­zie­hung zu Gott! Der Erd­bo­den rings um den bren­nen­den Busch wur­de durch die Ge­gen­wart Got­tes ge­hei­ligt. Die Stifts­hüt­te und all ihr Ge­rät war ein Hei­lig­tum. In der Hei­li­gen Schrift be­deu­tet das Verb „hei­li­gen“ also, eine Per­son oder Sa­che ganz Gott zu übergeben.
Das voll­kom­me­ne Bei­spiel und Vor­bild von Hei­lig­keit ha­ben wir in Je­sus Chris­tus, der der Hei­li­ge Got­tes ist. So ru­fen die Dä­mo­nen ihm entgegen:

Ich weiß, wer du bist: Du bist der Hei­li­ge, den Gott ge­sandt hat! (Mk 1,23−25).

Er un­ter­schied sich von al­len an­de­ren Men­schen durch rück­halt­lo­se Hin­ga­be an Gott. Nur ein Le­ben in Fleisch und Blut wur­de aus­schließ­lich für Gott ge­lebt, dass von Je­sus Chris­tus. Er ist das eine voll­kom­me­ne Bei­spiel aus­ge­leb­ter Heiligkeit.
Hei­lig zu le­ben, auf Gott hin zu le­ben, be­deu­tet so zu le­ben, wie Je­sus es ge­tan hat. Er ist das Vor­bild, dem alle Chris­ten nach­ei­fern sol­len. Oder wie Pau­lus es ausdrückt:

Wen Gott näm­lich aus­er­wählt hat, der ist nach sei­nem Wil­len auch dazu be­stimmt, sei­nem Sohn ähn­lich zu wer­den.“ (Rö­mer 8,29; vgl. 2. Ko­rin­ther 3,18)

Durch fal­schen Ge­brauch des Be­griffs Hei­lig­keit in un­se­rer Um­welt und Ge­wöh­nung dar­an sträu­ben wir uns zu sa­gen, dass wir „Hei­li­ge“ sind. Wir wol­len da­mit sa­gen, dass wir uns in al­ler De­mut nicht an­ma­ßen wol­len, voll­kom­men zu sein. Wir sa­gen „Ich bin kein Hei­li­ger“. Gott aber sagt das Ge­gen­teil! Vor Gott ist je­der Gläu­bi­ge ein »Hei­li­ger«. Al­lein im Rö­mer­brief wer­den die Gläu­bi­gen acht­mal so be­zeich­net. Und zwar wer­den alle so be­nannt, ganz ohne Rück­sicht auf den Grad ih­res Glau­bens oder ih­rer Wür­dig­keit. 

Der Gott des Frie­dens aber […] rüs­te euch aus zu je­dem gu­ten Werk, da­mit ihr sei­nen Wil­len tut, in­dem er in euch das wirkt, was ihm wohl­ge­fäl­lig ist, durch Je­sus Chris­tus […]“, schreibt der Au­tor des He­brä­er­brie­fes (He­brä­er 13,20−21). 

Pau­lus lie­fert da­mit et­was wie eine De­fi­ni­ti­on von Hei­li­gung: Sie be­schreibt eine pro­zess­haf­te Er­neue­rung und Be­frei­ung von al­lem, was von Gott trennt. Sie be­ginnt mit der Hin­wen­dung zu Gott und hat das Ziel, Je­sus im­mer ähn­li­cher zu wer­den. Da­mit sind Chris­ten nicht nur Nach­fol­ger Jesu, son­dern auch sei­ne Nach­ah­mer. Sie sol­len ein Le­ben füh­ren, das mehr und mehr Jesu Art zu den­ken und zu le­ben ver­in­ner­licht und übernimmt.
Ohne mei­nen Ein­satz geht es da­bei nicht. Ein­drück­lich macht das eine Pas­sa­ge im He­brä­er­brief deutlich:

Trach­tet nach Frie­den mit al­len und nach der Hei­li­gung, ohne die kei­ner den Herrn se­hen wird!“ (He­brä­er 12,14)

Auf dring­li­che und erns­te Wei­se heißt das: Ich bin ge­fragt, mei­ne Hei­li­gung wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Sie ist ein Zu­spruch, ent­fal­tet sich je­doch nicht von selbst. Im­mer mehr so zu le­ben, wie Gott es möch­te, ist da­mit kei­ne schö­ne Zu­ga­be zum christ­li­chen Glau­ben. Hei­li­gung ge­hört zum Kern.
Es ge­hört bei­des zu­sam­men: Mein tiefs­ter Wil­le und mein Be­mü­hen, gleich­zei­tig Got­tes ver­än­dern­de Kraft. Gott nimmt mich als sein Ge­schöpf ernst, ge­gen mei­nen Wil­len wird er mich nicht hei­lig ma­chen. Gleich­zei­tig kom­me ich als Mensch und sein Ge­schöpf ohne Got­tes Hil­fe auf kei­nen grü­nen Zweig. Der ei­ge­ne Wil­le reicht nicht aus. Hei­li­gung ist Team­work, das sich wohl am bes­ten so be­schrei­ben lässt: Weil Gott mir hilft, kann ich mei­nen Teil bei­tra­gen. Die­se Ver­wand­lung wird nach und nach alle Tei­le mei­ner Per­son umkrempeln.
Des­halb sor­ge ich am bes­ten für mei­ne Hei­li­gung, wenn ich mei­ne Be­zie­hung zu Gott pfle­ge und Zeit mit ihm ver­brin­ge: in sei­nem Wort (Bi­bel), im Ge­spräch mit ihm (Ge­bet), mit sei­nem Leib (Ge­mein­de, Got­tes­dienst und Abend­mahl) und in­dem ich sei­ne Bot­schaft wei­ter­ge­be. Hilf­reich ist es auch, mei­ne Art, wie und wo ich Gott am liebs­ten be­geg­ne, ge­nau zu ken­nen (z.B. in der Na­tur, durch ge­nau­es Nach­den­ken, in der Ein­sam­keit). Die­se zen­tra­len Ele­men­te hal­ten mei­nen Glau­ben ge­sund und sor­gen da­für, dass mei­ne Hei­li­gung wach­sen kann.
So zeigt ein hei­li­ges Le­ben auf Dau­er ei­ni­ge der fol­gen­den Sym­pto­me: Ich wer­de mit an­de­ren Men­schen ehr­lich um­ge­hen, eben­so mit mei­nem Geld (Ephe­ser 4,28). Ich bin be­reit, an­de­ren zu ver­ge­ben und mit ih­nen in Frie­den zu le­ben (He­brä­er 12,14). Ich ur­tei­le nicht über an­de­re (Mat­thä­us 7,1−2) und ver­su­che, mei­ne Zun­ge zu zäh­men (Ja­ko­bus 3,1−12).
Als Ori­en­tie­rung wie die­ses Le­ben mit Gott in un­ter­schied­li­chen Epo­chen ge­lin­gen kann, ha­ben wir die Hei­li­gen. Wir blei­ben eine Ge­mein­schaft der Le­ben­den und To­ten ein­ge­bun­den, in eine Ge­mein­schaft al­ler Heiligen.
Hei­lig­keit ent­fal­tet sich in den ver­schie­de­nen Ver­hält­nis­sen und Auf­ga­ben des Le­bens. Im all­täg­li­chen Le­ben, im Be­ruf, der Fa­mi­lie, der ei­ge­nen Le­bens­si­tua­ti­on kommt also Hei­lig­keit zum Vor­schein: Sie voll­zieht sich durch die Selbst‑, die Nächs­ten- und die Got­tes­lie­be.  Da­bei er­scheint das Le­ben vie­ler Hei­li­ger auf den ers­ten Blick we­nig hei­lig. Hei­li­ge er­fah­ren Le­bens­kri­sen und tie­fe Hoff­nungs­lo­sig­keit, se­hen sich von Gott ver­las­sen und zwei­feln an ih­rem Glau­ben, sie er­le­ben nack­te Angst und ha­dern mit ih­rem Gott. Hei­li­ge sind Men­schen, die auf ih­rem ganz per­sön­li­chen Weg der Su­che nach sich selbst, dem Nächs­ten und Gott Hö­hen und Tie­fen erleben.
Hei­li­ge – wie Mut­ter Te­re­sa und Mar­tin, Ma­xi­mi­li­an Kol­be und Eli­sa­beth von Thü­rin­gen – kön­nen in die­sem Sinn auch heu­te noch wich­tig sein: Als Glau­bens­zeu­gen und Glau­bens­vor­bil­der. Sie kön­nen Le­bens­ori­en­tie­rung bie­ten. Und sie sym­bo­li­sie­ren, dass die Ge­schich­te des christ­li­chen Glau­bens nicht nur in der Ge­schich­te der Kir­chen, son­dern auch in der Ge­schich­te der Glau­ben­den fort­ge­schrie­ben wird.
So zei­gen sie uns den Weg, wie man glück­lich wird, wie man das macht, ein Mensch zu sein. Im Auf und Ab der Ge­schich­te wa­ren sie die wirk­li­chen Er­neue­rer, die im­mer wie­der die Ge­schich­te aus den dunk­len Tä­lern her­aus­ge­holt ha­ben, in de­nen sie im­mer neu zu ver­sin­ken droht. Sie brach­ten im­mer wie­der so viel Licht in die Welt, dass man dem Wort Got­tes, wenn viel­leicht auch un­ter Schmer­zen, zu­stim­men kann.
Al­ler­dings muss fest­ge­hal­ten wer­den: Die Hei­li­gen­ver­eh­rung ist kei­ne re­li­giö­se Pflicht. In der Ka­tho­li­schen Kir­che gilt sie als „gut und nütz­lich« – mehr nicht. 

GE­BET
Herr, mach mich zu ei­nem Werk­zeug dei­nes Friedens,
dass ich lie­be, wo man hasst;
dass ich ver­zei­he, wo man beleidigt;
dass ich ver­bin­de, wo Streit ist;
dass ich die Wahr­heit sage, wo Irr­tum ist;
dass ich Glau­ben brin­ge, wo Zwei­fel droht;
dass ich Hoff­nung we­cke, wo Ver­zweif­lung quält;
dass ich Licht ent­zün­de, wo Fins­ter­nis regiert.
Amen.