Ge­teil­tes Leid bringt Zukunft

Ge­teil­tes Leid bringt Zukunft

Elim­e­lech (Gott er­weist sich als Kö­nig) – ein ver­mut­lich nicht ganz ar­mer Mann – aus Beth­le­hem-Juda trifft die fol­gen­schwe­re Ent­schei­dung, sei­ne Hei­mat­stadt Beth­le­hem (Hei­mat­stadt Da­vids, Ge­burts­stadt Jesu) we­gen ei­ner Hun­gers­not zu ver­las­sen. Sei­ne Fa­mi­lie nimmt er mit. Sie ge­hen in der Hoff­nung nach Moab, dort Brot zu fin­den. Doch der Weg en­det im De­sas­ter. Sie er­fah­ren die Wirk­lich­keit der Wor­te Sa­lo­mos: „Da ist ein Weg, der ei­nem Men­schen ge­ra­de er­scheint, aber sein Ende sind Wege des To­des“ (Spr 14,12; 16,25). Der Va­ter und bei­de Söh­ne Mach­lon (der Ge­brech­li­che) und Kil­jon (der Schwäch­li­che) ster­ben. Noo­mi (Die Lieb­li­che) bleibt als Wit­we mit ih­ren bei­den Schwie­ger­töch­tern Rut und Orpa übrig.

Dann kommt die Nach­richt, dass Gott sei­nem Volk Brot ge­ge­ben hat. Noo­mi macht sich auf die Rei­se, um nach Beth­le­hem zu­rück­zu­keh­ren. Ihre bei­den Schwie­ger­töch­ter ge­hen mit ihr. Doch un­ter­wegs tren­nen sie sich. Orpa (die Sich-Ab­wen­den­de) kehrt in ihre Hei­mat Moab zu­rück, wäh­rend Ruth (Freun­din) durch nichts zu be­we­gen ist, ihre Schwie­ger­mut­ter zu ver­las­sen. Sie geht mit ihr. Ihre Ent­schei­dung steht fest.

Aus tie­fer Zu­nei­gung her­aus, lässt sich Rut in den Glau­ben und das Le­ben ih­rer Schwie­ger­mut­ter fal­len. Sie nimmt die Wan­der­schaft in Kauf, denn sie sagt: „Wo­hin du gehst, will ich ge­hen.“ Sie nimmt das Los ei­ner Frem­den an, denn sie sagt: „Wo du weilst, will ich wei­len.“ Sie iden­ti­fi­ziert sich mit dem Volk Got­tes: „Dein Volk ist mein Volk.“ Über al­les stellt sie ihr Ver­trau­en in den wah­ren Gott, denn sie sagt nicht nur: „Dein Volk ist mein Volk“, son­dern fügt hin­zu: „Dein Gott ist mein Gott.“ Selbst der Tod kann sie nicht zu­rück­hal­ten, denn sie sagt: „Wo du stirbst, will ich ster­ben, und dort will ich be­gra­ben wer­den.“ Ob im Le­ben oder im Tod, sie iden­ti­fi­ziert sich völ­lig mit Noo­mi und al­les das zu ei­nem Zeit­punkt, an dem sie auf den ers­ten Blick nichts an­de­res mehr vor sich hat­te, als eine alte, zer­bro­che­ne Frau. Für den ver­nünf­tig den­ken­den Men­schen die­ser Welt er­scheint die Wahl Ruts äu­ßerst tö­richt. Die Sorg­lo­sig­keit Moabs, den Kom­fort des El­tern­hau­ses und das Land der Ge­burt zu ver­las­sen, um eine Rei­se durch die Wüs­te auf sich zu neh­men, von der sie nichts weiß, in ein Land, das sie nie ge­se­hen hat, in Ge­sell­schaft ei­ner ar­men, leid­ge­prüf­ten Wit­we, scheint wirk­lich der Gip­fel der Tor­heit zu sein. Dies ist je­doch erst der An­fang der Ge­schich­te, das Ende ist noch nicht in Sicht. Der Glau­be mag sei­ne ers­ten Schrit­te in Um­stän­den der Ar­mut und Schwach­heit tun, aber am Ende wird der Glau­be ge­recht­fer­tigt wer­den und eine gro­ße Be­loh­nung ha­ben, in Um­stän­den der Macht und Herrlichkeit.

In Beth­le­hem an­ge­kom­men, sorgt Ruth für den Le­bens­un­ter­halt der bei­den Frau­en. Sie geht auf ein Feld, um dort Äh­ren auf­zu­sam­meln. Un­ter der Vor­se­hung Got­tes trifft sie „zu­fäl­lig“ auf ein Feld­stück, das ei­nem Ver­wand­ten ih­res Schwie­ger­va­ters – näm­lich Boas (in ihm ist Kraft/Gott er­löst) – ge­hört. Dort wird sie reich­lich ge­seg­net. Doch nicht nur das. Durch den Se­gen lernt sie vor al­lem den ken­nen, der den Se­gen gibt. Weil Boas ein Bluts­ver­wand­ter von Elim­e­lech ist, kommt er als Lö­ser für das ver­lo­ren ge­gan­ge­ne Erb­teil in Fra­ge. Boas ist zur Er­lö­sung be­reit. Ruth wird sei­ne Frau. Der ers­te Sohn, der ge­bo­ren wird, ist ei­ner der Vor­fah­ren des Kö­nigs David.

Rut ist die frem­de Frau, die Aus­län­de­rin. Ge­ra­de sie wird für den Neu­an­fang, den Auf­bruch in ein neu­es Le­ben hin­ein ge­braucht. Auf die­se Frem­de wird die Zu­kunft der Da­vid­dy­nas­tie, der Je­sus ent­springt, gegründet.

Die Ge­schich­te von Rut ist eine Ge­schich­te vol­ler Hoff­nung und Zu­ver­sicht. Ein­fa­che, arme Men­schen meis­tern ihr Schick­sal im Ver­trau­en auf Gott, der ihr Han­deln be­stimmt. Freund­schaft und So­li­da­ri­tät spie­len eine gro­ße Rol­le. Mu­tig und ver­trau­ens­voll ge­hen Rut und Noo­mi Neu­em, Un­vor­her­ge­se­he­nem entgegen.

Das Haupt­the­ma des Bu­ches Rut ist Frau­en­freund­schaft. Das Buch Rut ist das ein­zi­ge bi­bli­sche Buch, das ganz aus der Sicht­wei­se von Frau­en ge­schrie­ben ist. Es er­zählt von Frau­en, die sich ih­res Wer­tes be­wusst sind. Es zeigt, wie stark das Selbst­be­wusst­sein von Frau­en auch da­mals schon war. Die Alt­tes­ta­ment­le­rin Irm­traud Fi­scher schreibt in ei­nem Ar­ti­kel zum Buch Rut: „Es geht um ei­nen Über­le­bens­kampf zwei­er Frau­en in ei­ner pa­tri­ar­cha­li­schen und vor al­lem für Frau­en le­bens­ge­fähr­li­chen Welt…. Es geht um Frau­en als Op­fer, als Ver­hand­lungs­ge­gen­stand und als mu­tig und lis­tig Han­deln­de; es geht um Frau­en­so­li­da­ri­tät und Frauenrivalität.“(Das Buch Rut als ex­ege­ti­sche Li­te­ra­tur, Bi­bel und Kir­che 3/1999, 112)

Ruts Name wird au­ßer in dem Buch selbst nur noch ein ein­zi­ges Mal er­wähnt, näm­lich in Mat­thä­us 1,5. Dort hat sie ei­nen Eh­ren­platz im Ge­schlechts­re­gis­ter des Mes­si­as. Sie wur­de die Ur­groß­mutter von Kö­nig Da­vid, des­sen Sohn der Mes­si­as war.

 

UND ICH

Ruts un­si­che­re Si­tua­ti­on wirft Fra­gen auf, die für Men­schen in un­se­rer Zeit be­kannt und ak­tu­ell sind: Wer hält zu mir, wenn es drauf an­kommt? Auf wen kann ich mich ver­las­sen? Was wird das Neue brin­gen? Wer­den mich die Men­schen dort mö­gen? Wer­de ich mich zu­recht­fin­den? Wer­de ich mich wohl­füh­len? Ist Gott wirk­lich verlässlich?

So kann ge­ra­de durch die Über­nah­me der Per­spek­ti­ve der Rut bei­des nach­voll­zo­gen wer­den: so­wohl das Fra­gen und Zwei­feln als auch das mu­ti­ge Ent­schei­den und so­li­da­ri­sche Han­deln. An der Ent­wick­lung der Fi­gur Rut ist zu ler­nen, dass mu­ti­ges Han­deln Ver­trau­en schaf­fen und zur Ver­bes­se­rung der Ver­hält­nis­se füh­ren kann. Eben­so ist ex­em­pla­risch zu ler­nen, dass sich Ver­trau­en auf den ei­nen Gott, der sich manch­mal auch im Ver­bor­ge­nen zeigt, lohnt.

 

GE­BET

Gott un­ser Vater,
wenn wir Angst ha­ben, dann lass uns nicht verzweifeln!
Wenn wir ent­täuscht sind, dann lass uns nicht bit­ter werden!
Wenn wir ge­fal­len sind, dann lass uns nicht lie­gen bleiben!
Wenn es mit un­se­ren Kräf­ten zu Ende ist, dann lass uns nicht umkommen!
Lass uns dei­ne Nähe erfahren!
Schen­ke uns dei­nen Geist, der uns auf­rich­tet und neue Zu­ver­sicht gibt.
Dar­um bit­ten wir in Jesu Na­men. Amen.