Freund­schaft II

Ein ers­ter Schritt zur Klä­rung kann eine rea­lis­ti­sche Ein­schät­zung der ver­schie­de­nen In­ten­si­tä­ten mei­ner Freund­schaf­ten sein. Ich fin­de da­bei gilt es drei Ebe­nen zu un­ter­schei­den. 

Das ers­te sind zu­fäl­li­ge be­kann­te Men­schen, de­nen wir re­gel­mä­ßig auf der Ar­beit be­geg­nen, oder weil wir die­sel­ben Ge­wohn­hei­ten pfle­gen, z.B. der wie­der­hol­te und im­mer zur glei­chen Zeit statt­fin­den­de Gang ins Fit­ness­stu­dio. Men­schen, die sym­pa­thisch sind, mit de­nen wir ger­ne ein kur­zes Pläusch­chen zwi­schen­durch hal­ten. Men­schen, die wir grü­ßen, aber Men­schen, de­nen wir vor al­len Din­gen des­we­gen be­geg­nen, weil es die Um­stän­de er­ge­ben. Wenn wir ehr­lich sind, wis­sen wir auch, so­bald sich die­se Um­stän­de än­dern, ver­schwin­den auch die­se Men­schen wie­der aus un­se­rem Le­ben. Das be­deu­tet kei­ne Ab­wer­tung für die­se Men­schen. Das be­deu­tet aber auch, dass wir de­fi­ni­tiv hier nicht die Schwer­punk­te un­se­rer Be­zie­hungs­ar­beit set­zen soll­ten. 

Eine zwei­te Ebe­ne für mich sind ech­te Freun­de auf Zeit in un­se­rem Le­ben. Wir be­gin­nen im­mer wie­der neue Ab­schnit­te und an­de­re en­den. Ei­nem ähn­li­chen Mus­ter fol­gen auch un­se­re Freund­schaf­ten. Wir in­ves­tie­ren viel in tra­gen­de Be­zie­hun­gen, ver­brin­gen ge­mein­sam Zeit, tei­len ge­mein­sa­me Er­leb­nis­se und Er­fah­run­gen. Al­ler­dings soll­ten wir auch nicht über­rascht sein, wenn dann das Le­ben ir­gend­wann die Kar­ten wie­der neu mischt und wir zu an­de­ren und neu­en Le­bens­ab­schnit­ten auf­zu­bre­chen ha­ben und da­bei auch Men­schen zu­rück­las­sen müs­sen. Al­les hat eben sei­ne Zeit, wie es im Buch Ko­he­let heißt - auch Freund­schaf­ten. 

Eine drit­te Ebe­ne für mich sind Freund­schaf­ten fürs Le­ben. Manch­mal tref­fen die Um­stän­de und die Che­mie zwi­schen Men­schen so zu­sam­men, dass in der Tat Freund­schaf­ten ent­ste­hen, die ein Le­ben lang hal­ten. Sie wer­den ge­schmie­det in den Schüt­zen­grä­ben des All­tags. In al­lem, was hier er­run­gen, er­lit­ten und ge­mein­sam auch ge­fei­ert wird. Sie brau­chen, wie es der Name schon sagt, ein Le­ben lang, um zu wach­sen, um sich ge­mein­sam zu ent­wi­ckeln. Sol­che Freund­schaf­ten sind in der Tat ein sehr kost­ba­res Gut. 

Wenn wir jede ech­te Freund­schaft als et­was be­grei­fen, das kom­men und ge­hen kann, sind wir umso dank­ba­rer für die ge­mein­sa­me Zeit, die wir mit­ein­an­der ver­brin­gen dür­fen. Wir wer­den er­le­ben, dass sol­che Freund­schaf­ten in der Tat le­bens­för­der­lich sind. Dass sie die Qua­li­tät un­se­res All­tags un­ge­mein stei­gern kön­nen, selbst dann, wenn sie eben nicht bis zu dem Zeit­punkt hal­ten, wo wir alt, grau und schrum­pe­lig, ge­mein­sam auf ei­ner Bank vor dem Al­ten­heim Li­mo­na­de schlür­fend sit­zen wer­den. Selbst dann ha­ben die­se Freund­schaf­ten ei­nen un­ver­än­der­li­chen und be­deut­sa­men Punkt in un­se­rer Le­bens­ge­schich­te. 

Um die ech­ten Freund­schaf­ten un­se­res Le­bens zu ver­tie­fen, braucht es wohl vor al­len Din­gen Zeit. Zeit, die wir mit­ein­an­der ver­brin­gen, da­mit über­haupt et­was wach­sen und zwi­schen uns ent­ste­hen kann. Es braucht ge­mein­sa­me Er­fah­run­gen. Er­leb­nis­se, die wir mit­ein­an­der tei­len und die uns ver­bin­den. Oder auch ge­mein­sa­me Aben­de vol­ler tie­fer Ge­sprä­che, an die wir uns ger­ne zu­rück­er­in­nern, die uns deut­lich ma­chen, dass wir auf ei­ner ge­mein­sa­men Ebe­ne un­ter­wegs sind und ei­nen ähn­li­chen Blick auf die­se Welt tei­len. 

Es braucht die Be­reit­schaft, vor­ein­an­der die Mas­ken fal­len zu las­sen uns da kommt es wohl dar­auf an, nicht zu war­ten, bis der an­de­re den ers­ten Schritt tut, son­dern in die­sem Punkt ei­nen Ver­trau­ens­vor­schuss zu lie­fern und selbst be­reit zu sein, los­zu­le­gen und Ehr­lich­keit und Wahr­haf­tig­keit wal­ten zu las­sen. 

Es wird dar­auf an­kom­men, in schwe­ren, ent­schei­den­den Mo­men­ten für den an­de­ren da zu sein. Das ist nichts, was man pla­nen und ma­chen kann. Das ist et­was, was sich zei­gen wird und wo in un­se­rer Red­lich­keit und in un­se­rer Freund­schaft­lich­keit ge­fragt sind. 

Wenn das ge­ge­ben ist, wenn das prä­gend ist für un­se­re Be­zie­hung, dann kön­nen wirk­lich Freund­schaf­ten ent­ste­hen, die zu ei­nem fes­ten und tra­gen­den Fun­da­ment un­se­rer Tage wer­den.