- Bevor ich ein Streitgespräch beginne, prüfe ich meine Motivation: Ist sie redlich, d. h. will ich der Sache, um die es geht, und damit der Wahrheit dienen? Oder will ich bloß Recht behalten, nicht unterliegen, den anderen meine Überlegenheit zeigen oder will ich – ganz schlicht, mein Gegenüber ärgern?
- Darüber hinaus halte ich für ein Streitgespräch immer noch den Grundsatz für empfehlenswert, den der hl. Ignatius von Loyola am Beginn seines Exerzitienbüchleins gibt. Dort heißt es: »Damit sowohl der, der die geistlichen Übungen [Exerzitien] gibt, wie der, der sie empfängt, einander jeweils mehr helfen und fördern, haben sie vorauszusetzen, dass jeder gute Christ mehr bereit sein muss, eine Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verdammen. Vermag er sie aber nicht zu retten, so forsche er nach wie jener sie versteht« (EB 22). Ignatius, der mehrere Male zum Verhör bei der spanischen Inquisition vorgeladen war, wusste, wovon er redete. Im Sinne Jesu sollten wir unserem Gegenüber zunächst eine gute Absicht und den Willen zur Verständigung unterstellen. Das heißt, dass ich dazu bereit bin, meine eigene Sicht der Dinge selbstkritisch immer wieder zu hinterfragen und zu verstehen versuchen, wie mein Gesprächspartner zu seiner Position kommt.
- Ein dritter Hinweis: Ich mag in einer Sache noch so sehr Recht haben, es wird mir nichts helfen, wenn ich dem anderen die Wahrheit wie einen nassen Waschlappen um die Ohren haue. »Der Ton macht die Musik«, sagt der Volksmund, und er hat Recht. Damit die Wahrheit eine Chance hat, gehört zu werden, ist Liebe gefragt. Oder, um es weniger hochtrabend zu formulieren: Respekt vor dem Anderen, Einfühlungsvermögen, Taktgefühl. Es gibt sogar Situationen, da würde die Wahrheit überfordern. Deshalb ist für eine christliche Streitkultur auch langer Atem gefordert und Ideenreichtum: Wie kann ich meinen »Streitpartnern« meine Überzeugung nahe bringen? Ohne Rückschläge und Missverständnisse wird es in der Regel nicht abgehen. Streitsituationen sind also auch Gelegenheiten, sich selbst besser kennen zu lernen und »das eigene Verhaltensrepertoire zu erweitern, Offenheit, Schlagfertigkeit, Einfühlungsvermögen und Verhandlungsgeschick zu schulen« (P. Ulrich, in: neue gespräche, Heft 5/ 2007, 3).
- Eigentlich ist es überflüssig zu sagen, dass es zu einer Streitkultur, zumal zu einer christlichen gehört, auch solch einfache Spielregeln zu beachten wie: den Anderen beim Sprechen anzusehen, ihm oder ihr nicht ins Wort zu fallen, sondern ausreden zu lassen, keine Seitengespräche zu führen, während der Andere spricht, und sich zurückzuhalten mit verallgemeinernden Unterstellungen wie etwa: »Du bist ja sowieso dagegen. Bei dir habe ich ja gar keine Chance. Du willst mich einfach nicht verstehen …« Trotzdem wundere ich mich, wie oft in Gesprächen gegen diese Grundregeln verstoßen wird. Man braucht doch nur im Internet unter dem Stichwort »Gesprächsregeln« zu googlen: Im Nu hat man die entscheidenden Grundregeln auf dem Schirm.
- Wo leidenschaftlich gestritten wird, sind auch Gefühle im Spiel. Da redet man sich nicht nur die Köpfe, sondern leicht auch die Herzen heiß. Das ist einerseits gut, denn das belebt das Gespräch, aber es birgt auch eine Gefahr: Sache und Gefühle vermischen sich leicht. Dann können angeblich sachliche Argumente zu Totschlagargumenten werden und scheinbar harmlose Rückfragen zu Fangfragen. Deshalb raten uns erfahrene Gesprächsbegleiter, während eines Streits die aufkommenden Gefühle (wie Ärger oder Trauer) aufmerksam wahrzunehmen und sie frühzeitig zu äußern, damit sie sich nicht verselbstständigen und dann unkontrolliert entladen.
Man sieht, Streit ist eine anspruchsvolle Sache, und er ist doch so etwas wie das Salz in der Suppe des Lebens. Neulich las ich, dass nicht wenige Ehen nach Jahren scheitern, weil die Ehemänner zwar lieb und vernünftig, aber damit für ihre Frauen langweilig seien. Eine gute Beziehung brauche »Kampf, Streit und Auseinandersetzung. Wer für[einander] […] interessant bleiben will, muss streiten. Auseinandersetzung macht das Leben spannender. Man muss miteinander reden, sich verändern, sich positionieren, spontan sein« (C. Seligmann, in: neue gespräche, Heft 5/ 2007, 10).
Ob das stimmt, lässt sich natürlich nicht zwingend beweisen, aber ich glaube, dass da etwas Wahres dran ist. Also ist Streit vielleicht wirklich so etwas wie das Salz in der Suppe des Lebens. Und vom Salz hatte Jesus eine hohe Meinung: Man schlage nur nach bei Mt 5,13!
BIBELSTELLEN ZUM NACHSCHLAGEN
- Nur ein Dummkopf lässt seinem Zorn freien Lauf, ein Verständiger hält seinen Unmut zurück. (Sprüche 29,11)
- Ein Hitzkopf schürt Zank und Streit, aber ein besonnener Mensch schlichtet ihn. (Sprüche 15,18)
- Denkt daran, liebe Brüder und Schwestern: Seid sofort bereit, jemandem zuzuhören; aber überlegt genau, bevor ihr selbst redet. Und hütet euch vor unbeherrschtem Zorn! (Jakobus 1,19f.)
- Ihr behauptet: »Wir haben doch alle die Fähigkeit zu erkennen, was richtig ist!« Das stimmt. Aber die richtige Erkenntnis allein führt nur zu Hochmut; Liebe dagegen baut die Gemeinde auf. (1.Korinther 8,1)
- Redet nicht schlecht voneinander, sondern habt ein gutes Wort für jeden, der es braucht. Was ihr sagt, soll hilfreich und ermutigend sein, eine Wohltat für alle. (Epheser 4,29)
- Redet mit jedem Menschen freundlich; alles, was ihr sagt, soll gut und hilfreich sein. Bemüht euch darum, für jeden die richtigen Worte zu finden. (Kolosser 4, 6)
- Mit einem solchen Feuer lässt sich auch die Zunge vergleichen. Sie kann eine ganze Welt voller Ungerechtigkeit und Bosheit sein. Sie vergiftet uns und unser Leben, sie steckt unsere ganze Umgebung in Brand, und sie selbst ist vom Feuer der Hölle entzündet. (Jakobus 3,6)
- Worte haben Macht: Sie können über Leben und Tod entscheiden. Wer sich gerne reden hört, muss mit den Folgen leben. (Sprüche 18,21)
- “Wahrheit und Liebe”: Gnade, Erbarmen und Frieden wird uns auch künftig geschenkt von Gott, unserem Vater, und seinem Sohn Jesus Christus; so bleiben wir in Gottes Wahrheit und in seiner Liebe verbunden. (2.Johannes 3)
- “Gnade und Wahrheit”: Das Wort wurde Mensch und lebte unter uns. Wir selbst haben seine göttliche Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit, wie sie Gott nur seinem einzigen Sohn gibt. In ihm sind Gottes Gnade und Wahrheit zu uns gekommen. (Johannes 1,14)
- Doch ich sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen! So erweist ihr euch als Kinder eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne für Böse wie für Gute aufgehen, und er lässt es regnen für Fromme und Gottlose. (Matthäus 5,44)
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