Faust­re­geln für eine christ­li­che Streit-Kultur

Faust­re­geln für eine christ­li­che Streit-Kultur

  1. Be­vor ich ein Streit­ge­spräch be­gin­ne, prü­fe ich mei­ne Mo­ti­va­ti­on: Ist sie red­lich, d. h. will ich der Sa­che, um die es geht, und da­mit der Wahr­heit die­nen? Oder will ich bloß Recht be­hal­ten, nicht un­ter­lie­gen, den an­de­ren mei­ne Über­le­gen­heit zei­gen oder will ich – ganz schlicht, mein Ge­gen­über ärgern?
  2. Dar­über hin­aus hal­te ich für ein Streit­ge­spräch im­mer noch den Grund­satz für emp­feh­lens­wert, den der hl. Igna­ti­us von Lo­yo­la am Be­ginn sei­nes Ex­er­zi­ti­en­büch­leins gibt. Dort heißt es: »Da­mit so­wohl der, der die geist­li­chen Übun­gen [Ex­er­zi­ti­en] gibt, wie der, der sie emp­fängt, ein­an­der je­weils mehr hel­fen und för­dern, ha­ben sie vor­aus­zu­set­zen, dass je­der gute Christ mehr be­reit sein muss, eine Aus­sa­ge des Nächs­ten zu ret­ten, als sie zu ver­dam­men. Ver­mag er sie aber nicht zu ret­ten, so for­sche er nach wie je­ner sie ver­steht« (EB 22). Igna­ti­us, der meh­re­re Male zum Ver­hör bei der spa­ni­schen In­qui­si­ti­on vor­ge­la­den war, wuss­te, wo­von er re­de­te. Im Sin­ne Jesu soll­ten wir un­se­rem Ge­gen­über zu­nächst eine gute Ab­sicht und den Wil­len zur Ver­stän­di­gung un­ter­stel­len. Das heißt, dass ich dazu be­reit bin, mei­ne ei­ge­ne Sicht der Din­ge selbst­kri­tisch im­mer wie­der zu hin­ter­fra­gen und zu ver­ste­hen ver­su­chen, wie mein Ge­sprächs­part­ner zu sei­ner Po­si­ti­on kommt.
  3. Ein drit­ter Hin­weis: Ich mag in ei­ner Sa­che noch so sehr Recht ha­ben, es wird mir nichts hel­fen, wenn ich dem an­de­ren die Wahr­heit wie ei­nen nas­sen Wasch­lap­pen um die Oh­ren haue. »Der Ton macht die Mu­sik«, sagt der Volks­mund, und er hat Recht. Da­mit die Wahr­heit eine Chan­ce hat, ge­hört zu wer­den, ist Lie­be ge­fragt. Oder, um es we­ni­ger hoch­tra­bend zu for­mu­lie­ren: Re­spekt vor dem An­de­ren, Ein­füh­lungs­ver­mö­gen, Takt­ge­fühl. Es gibt so­gar Si­tua­tio­nen, da wür­de die Wahr­heit über­for­dern. Des­halb ist für eine christ­li­che Streit­kul­tur auch lan­ger Atem ge­for­dert und Ideen­reich­tum: Wie kann ich mei­nen »Streit­part­nern« mei­ne Über­zeu­gung nahe brin­gen? Ohne Rück­schlä­ge und Miss­ver­ständ­nis­se wird es in der Re­gel nicht ab­ge­hen. Streit­si­tua­tio­nen sind also auch Ge­le­gen­hei­ten, sich selbst bes­ser ken­nen zu ler­nen und »das ei­ge­ne Ver­hal­tens­re­per­toire zu er­wei­tern, Of­fen­heit, Schlag­fer­tig­keit, Ein­füh­lungs­ver­mö­gen und Ver­hand­lungs­ge­schick zu schu­len« (P. Ul­rich, in: neue ge­sprä­che, Heft 5/ 2007, 3).
  4. Ei­gent­lich ist es über­flüs­sig zu sa­gen, dass es zu ei­ner Streit­kul­tur, zu­mal zu ei­ner christ­li­chen ge­hört, auch solch ein­fa­che Spiel­re­geln zu be­ach­ten wie: den An­de­ren beim Spre­chen an­zu­se­hen, ihm oder ihr nicht ins Wort zu fal­len, son­dern aus­re­den zu las­sen, kei­ne Sei­ten­ge­sprä­che zu füh­ren, wäh­rend der An­de­re spricht, und sich zu­rück­zu­hal­ten mit ver­all­ge­mei­nern­den Un­ter­stel­lun­gen wie etwa: »Du bist ja so­wie­so da­ge­gen. Bei dir habe ich ja gar kei­ne Chan­ce. Du willst mich ein­fach nicht ver­ste­hen …« Trotz­dem wun­de­re ich mich, wie oft in Ge­sprä­chen ge­gen die­se Grund­re­geln ver­sto­ßen wird. Man braucht doch nur im In­ter­net un­ter dem Stich­wort »Ge­sprächs­re­geln« zu goog­len: Im Nu hat man die ent­schei­den­den Grund­re­geln auf dem Schirm.
  5. Wo lei­den­schaft­lich ge­strit­ten wird, sind auch Ge­füh­le im Spiel. Da re­det man sich nicht nur die Köp­fe, son­dern leicht auch die Her­zen heiß. Das ist ei­ner­seits gut, denn das be­lebt das Ge­spräch, aber es birgt auch eine Ge­fahr: Sa­che und Ge­füh­le ver­mi­schen sich leicht. Dann kön­nen an­geb­lich sach­li­che Ar­gu­men­te zu Tot­schlag­ar­gu­men­ten wer­den und schein­bar harm­lo­se Rück­fra­gen zu Fang­fra­gen. Des­halb ra­ten uns er­fah­re­ne Ge­sprächs­be­glei­ter, wäh­rend ei­nes Streits die auf­kom­men­den Ge­füh­le (wie Är­ger oder Trau­er) auf­merk­sam wahr­zu­neh­men und sie früh­zei­tig zu äu­ßern, da­mit sie sich nicht ver­selbst­stän­di­gen und dann un­kon­trol­liert entladen.

Man sieht, Streit ist eine an­spruchs­vol­le Sa­che, und er ist doch so et­was wie das Salz in der Sup­pe des Le­bens. Neu­lich las ich, dass nicht we­ni­ge Ehen nach Jah­ren schei­tern, weil die Ehe­män­ner zwar lieb und ver­nünf­tig, aber da­mit für ihre Frau­en lang­wei­lig sei­en. Eine gute Be­zie­hung brau­che »Kampf, Streit und Aus­ein­an­der­set­zung. Wer für[einander] […] in­ter­es­sant blei­ben will, muss strei­ten. Aus­ein­an­der­set­zung macht das Le­ben span­nen­der. Man muss mit­ein­an­der re­den, sich ver­än­dern, sich po­si­tio­nie­ren, spon­tan sein« (C. Se­lig­mann, in: neue ge­sprä­che, Heft 5/ 2007, 10).

Ob das stimmt, lässt sich na­tür­lich nicht zwin­gend be­wei­sen, aber ich glau­be, dass da et­was Wah­res dran ist. Also ist Streit viel­leicht wirk­lich so et­was wie das Salz in der Sup­pe des Le­bens. Und vom Salz hat­te Je­sus eine hohe Mei­nung: Man schla­ge nur nach bei Mt 5,13!

 

BI­BEL­STEL­LEN ZUM NACHSCHLAGEN

  • Nur ein Dumm­kopf lässt sei­nem Zorn frei­en Lauf, ein Ver­stän­di­ger hält sei­nen Un­mut zu­rück. (Sprü­che 29,11)
  • Ein Hitz­kopf schürt Zank und Streit, aber ein be­son­ne­ner Mensch schlich­tet ihn. (Sprü­che 15,18)
  • Denkt dar­an, lie­be Brü­der und Schwes­tern: Seid so­fort be­reit, je­man­dem zu­zu­hö­ren; aber über­legt ge­nau, be­vor ihr selbst re­det. Und hü­tet euch vor un­be­herrsch­tem Zorn! (Ja­ko­bus 1,19f.)
  • Ihr be­haup­tet: »Wir ha­ben doch alle die Fä­hig­keit zu er­ken­nen, was rich­tig ist!« Das stimmt. Aber die rich­ti­ge Er­kennt­nis al­lein führt nur zu Hoch­mut; Lie­be da­ge­gen baut die Ge­mein­de auf. (1.Korinther 8,1)
  • Re­det nicht schlecht von­ein­an­der, son­dern habt ein gu­tes Wort für je­den, der es braucht. Was ihr sagt, soll hilf­reich und er­mu­ti­gend sein, eine Wohl­tat für alle. (Ephe­ser 4,29)
  • Re­det mit je­dem Men­schen freund­lich; al­les, was ihr sagt, soll gut und hilf­reich sein. Be­müht euch dar­um, für je­den die rich­ti­gen Wor­te zu fin­den. (Ko­los­ser 4, 6)
  • Mit ei­nem sol­chen Feu­er lässt sich auch die Zun­ge ver­glei­chen. Sie kann eine gan­ze Welt vol­ler Un­ge­rech­tig­keit und Bos­heit sein. Sie ver­gif­tet uns und un­ser Le­ben, sie steckt un­se­re gan­ze Um­ge­bung in Brand, und sie selbst ist vom Feu­er der Höl­le ent­zün­det.  (Ja­ko­bus 3,6)
  • Wor­te ha­ben Macht: Sie kön­nen über Le­ben und Tod ent­schei­den. Wer sich ger­ne re­den hört, muss mit den Fol­gen le­ben. (Sprü­che 18,21)
  • “Wahr­heit und Lie­be”: Gna­de, Er­bar­men und Frie­den wird uns auch künf­tig ge­schenkt von Gott, un­se­rem Va­ter, und sei­nem Sohn Je­sus Chris­tus; so blei­ben wir in Got­tes Wahr­heit und in sei­ner Lie­be ver­bun­den. (2.Johannes 3)
  • “Gna­de und Wahr­heit”: Das Wort wur­de Mensch und leb­te un­ter uns. Wir selbst ha­ben sei­ne gött­li­che Herr­lich­keit ge­se­hen, eine Herr­lich­keit, wie sie Gott nur sei­nem ein­zi­gen Sohn gibt. In ihm sind Got­tes Gna­de und Wahr­heit zu uns ge­kom­men.  (Jo­han­nes 1,14)
  • Doch ich sage euch: Liebt eure Fein­de und be­tet für die, die euch ver­fol­gen!  So er­weist ihr euch als Kin­der eu­res Va­ters im Him­mel. Denn er lässt sei­ne Son­ne für Böse wie für Gute auf­ge­hen, und er lässt es reg­nen für From­me und Gott­lo­se. (Mat­thä­us 5,44)

 

GE­BET

Herr, mach mich zu ei­nem Werk­zeug dei­nes Friedens,
dass ich lie­be, wo man hasst,
dass ich ver­zei­he, wo man beleidigt
dass ich ver­bin­de, wo Streit ist
dass ich die Wahr­heit sage, wo Irr­tum ist
dass ich Glau­ben brin­ge, wo Zwei­fel droht
dass ich Hoff­nung we­cke, wo Ver­zweif­lung quält
dass ich Licht ent­zün­de, wo Fins­ter­nis regiert
dass ich Freun­de brin­ge, wo Kum­mer wohnt.
Herr blei­be bei mir. Am Abend die­ses Tages.
Am Abend mei­nes Lebens.
Am Abend der Welt. Amen.