Bei der Frage danach, welche Ereignisse und Menschen uns im Leben geprägt undbeeinflusst haben und wie sie uns helfen können zu verstehen, wer wir heute sind, wasuns antreibt und motiviert, kommen wir an einem entscheidenden Faktor nicht vorbei: Der Herkunftsfamilie. Sie ist die entscheidendste und mächtigste Zelle, die uns beeinflusst. Deswegen lohnt sich auch ein wacher und ehrlicher Blick auf unsere Vergangenheit.
Für das Neue Testament ist das Bild der Familie ein entscheidendes und prägendes. Als Christen sind wir hinein genommen worden in eine neue Familie, in der ethnische oder kulturelle Grenzen einfach nicht mehr interessieren. Es interessiert nicht, welcher soziale Status oder welcher Background uns mitgegeben wurde und welche sexuelle Orientierung uns prägt. In dieser Familie ist einzig und allein relevant, dass wir Geschwister sind, die einen gemeinsamen Vater haben. Deswegen hat Paulus damals auch ganz klar formuliert, in dieser Familie interessiert es weder, ob wir Männer oder Frauen sind, ob Juden oder Griechen. In dieser Familie ist einzig und allein der Maßstab Jesu entscheidend, der uns als Christen ins Stammbuch geschrieben wurde. Das Problem ist nur, dass wir unsere Vergangenheit nicht einfach auslöschen können. Gott schenkt uns keinen Gedächtnisverlust und auch keine emotionale Schönheits-OP. Wenn wir uns auf diese neue Familie einlassen wollen, dann ist es nötig, dass wir die kettenden, belastenden und manchmal auch falschen Verhaltensmuster unserer Familiengeschichte identifizieren; denn nur dann können wir uns von ihnen lösen. Das ist harte Arbeit und manchmal mag es einem auch wie Verrat vorkommen. Aber darum geht es nicht.
Es geht nicht darum, das Kind mit dem Bade auszuschütten; sondern es gilt, ehrlich hinzuschauen, das Positive vom Negativen unterscheiden zu lernen. Damit die Dinge, die an der Reihe sind, dass sie sich aus unserem Leben verabschieden und, dass wir uns von ihnen lösen, auch endlich den Auszug aus unserem Leben antreten.
Deswegen gilt es, ehrlich hinzuschauen und sich zu fragen, wie wurde eigentlich in unseren Familien über bestimmte Menschen gesprochen, über Gebildete oder Ungebildete? Welches Urteil wurde gefällt über Menschen mit gewissem sozialem Status oder einer gewissen sexuellen Orientierung? Wie wurden Menschen bewertet, die als Fremde in unserem Land leben? Genauso gilt es hinzuschauen, wie gewisse Themen angesprochen wurden: Sexualität, Gewalt, Frustration. Welchen Stellenwert durfte all das in unserer Familie haben? Wie hat mich das geprägt und wie bestimmte es meinen eigenen Umgang mit diesen Menschen und diesen Themen?
Jeder Mensch ist einzigartig und unglaublich komplex. Wer ich selbst in der Tiefe meines Seins bin, werde ich in diesem leben wohl nie wirklich erfassen können. Aber wann immer es in meinem Leben hakt, wann immer es stockt, wann immer ich merke, dass ich nicht dazu in der Lage bin, weiter zu wachsen und den nächsten Schritt zu tun, dann lohnt es sich einen Schritt zurückzugehen, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen und darauf zu schauen, was mich eigentlich geprägt hat.
Denn Gottes Anliegen ist es, mich immer mehr in die Freiheit zu führen und, dass es am Ende eben nicht mein Herkunftsfamilie ist, die mich entscheidend prägen und bestimmen soll; sondern dass es darum geht, das Potenzial in meinem Leben zu entdecken, dass Gott mir mitgegeben hat. Das zu entfalten, daraus zu leben und daraus ein Leben zu gestalten, dass am Ende wirklich meine Handschrift getragen hat.