Wenn ich in diesen Tagen etwas schmerzlich vermisse, dann ist es das Essen und zwar nicht, weil ich unfähig wäre, meinen eigenen Kühlschrank zu füllen, sondern, weil mir die Menschen am Tisch fehlen. Essen ist so viel mehr alsbloße Nahrungsaufnahme. Jesus war ja nicht nur als Fresser und Säuferverschrien, sondern wirkte sein erstes Wunder bei einem Hochzeitsmahl und hinterließ uns das Abendmahl als bleibenden Auftrag. Deswegen heute ein kleiner Blick darauf, warum uns das Essen wieder viel mehr wert sein sollte.
Eine amerikanische Zeitschrift machte einmal eine Umfrage und bat ihre Leser den Satz zuzusenden, den sie am tröstlichsten fanden, den sie am meisten brauchten oder den sie am liebsten hörten. Unter tausenden Einsendungen stand ganz oben auf der Liste als Erstes ‚ich liebe dich‘, als Zweites ‚ich vergebe dir‘ und als Drittes ‚das Essen ist fertig‘. Untersuchungen zeigen in der Tat, dass gemeinsame Mahlzeiten immer mehr vom Aussterben bedroht sind. Unser Zuhause wird zu einer Durchgangsstation auf dem Weg von X nach Y. Die gemeinsamen Mahlzeiten verlieren die Bedeutung, die sie eigentlich haben, nämlich ein wichtiger Bestandteil von Ruhe zu sein und der einfache Kit, den es braucht, um Familien und Freundschaften zusammenzuhalten.
Deshalb finde ich es zum Beispiel höchst spannend, dass der jüdische Sabbat mit einer gemeinsamen Mahlzeit beginnt. Die Logik, die dahinter liegt, ist eine relativ simple. Wie kann man am Wochenende nicht einfach mit dem weitermachen, was man eh die ganze Woche tut oder anders formuliert, wie kann man endlich anfangen, aufzuhören?
Dadurch, dass hier eine Mahlzeit gesetzt wird, werden gänzlich andere Sinne angesprochen, als die die sonst im Laufe der Woche abgerufen werden. Hier geht es um Genuss. Es geht um Vergnügen. Es geht um gemeinsames Beisammensein. Diese Mahlzeit ist im jüdischen Sabbat keine Beliebigkeit. Sie ist eine Verpflichtung. Die körperliche Ruhe wird jetzt zwangsweise den Menschen abgerungen und dann können auch endlich die Sinne und der Geist nachziehen. Genau das ist es, was ich so schmerzlich vermisse.
Es geschieht an diesen langen Abenden, wenn die Teller beiseite geschoben sind, der Tisch abgeräumt ist, die Füße hochgelegt wurden und Ruhe in unser Reden gekommen ist, dass wir dann endlich über die Dinge sprechen, die uns wirklich innerlich beschäftigen und bewegen. Dass wir über die Dinge sprechen, die sonst in all den kurzen Kaffeepausen unseres Alltages unter dem Smalltalk und der Oberflächlichkeit eben keinen Platz haben. Es finden die Gespräche statt, die wirklich lebensrettend und Freundschaft vertiefend sind. Es sind diese Momente, in denen wir eben nicht mehr darüber nachdenken, wie wir Dinge formulieren, wie wir uns benehmen, wie wir uns bewegen und verhalten. Sondern es sind diese Momente, in denen ich einfach nur noch da bin und da sein darf und kann und von denen ich weiß, es ist gut so, wie es ist.
Solch ein gemeinsames Essen ist mehr als ein gesellschaftliches Event und eine gesellschaftliche Zwangsveranstaltung. In solch einem Rahmen ist es egal, ob wir uns das Nudelgericht servieren, was wir uns schon seit fünf Wochen gegenseitig zumuten. In solch einem Rahmen ist es auch egal, ob die Wohnung aufgeräumt ist oder auf dem Kopf steht. In solch einem Rahmen interessiert eigentlich nur, dass ich willkommen bin und dass wir uns einfach aneinander freuen. Das sind Dinge, die leider auch die digitale Welt eben nicht gänzlich auffangen und kompensieren kann. Klar kann man sich digital treffen und gemeinsam den Wein oder das Essen genießen. Aber das gemeinsame Gefühl, das entsteht, wenn man sich in einem Raum befindet, das Gefühl, das entsteht, wenn ich die Nähe eines anderen spüre, das kann mir kein Bildschirm liefern.
Deswegen fiebre ich schon den Nach-Corona-Zeiten entgegen. Wenn diese Zeiten, wenn diese langen Abende endlich wieder gemeinsam genossen werden können, weil Essen so viel mehr ist als bloße Nahrungsaufnahme, weil Essen ein echtes Highlight ist, das dazu führt, dass Sie sich dem anderen wieder öffnen und dass wir über die Dinge sprechen, die in meinem Leben wichtig und entscheidend sind. Schön, dass es so etwas Nutzloses und so etwas Zwangloses gibt wie Essen.