Maria und Martha, was sind die beiden nicht schon kirchlicherseits missbraucht worden, um die Rolle der Frau auf zwei Aufgaben zu beschränken: Entweder das emsige Fleißigsein in der Küche, oder aber das stille Frommsein zu Füßen des Herrn. Dabei liegt gerade in der Ruhe der Maria eine Revolution, die bis heute noch nicht eingeholt ist und von der wir alle etwas haben.
Jesus besucht Martha und Maria. Für den kulturellen Kontext, in dem wir uns bewegen, bedeutete das: Diesem Besucher galt es nun, alle Gastfreundschaft des Hauses spürbar werden zu lassen. In Sachen Bewirtung kam diese Aufgabe vor allen Dingen den Frauen zu. Also legt Martha pflichtbewusst in der Küche los. Nur eine, eine scheint sich für diese normalen Erwartung nicht zu interessieren. Sie nimmt schlicht und ergreifend zu den Füßen Jesu Platz und lässt Mara rödeln.
Mit diesem Platznehmen begeht sie den nächsten kulturellen Fauxpas. Das ist mitnichten eine demütige Geste. Paulus wird später einmal berichten, welche Ehre ihm zuteilwurde, als er zu den Füßen Gamaliels Platz nehmen durfte. Zu den Füßen eines Rabbis Platz zu nehmen, bedeutete die Rolle eines Schülers einzunehmen. Das allerdings galt bei einem Rabbi als Privileg für eine männliche Person.
Maria nimmt eine Position und eine Rolle ein, die eigentlich nur den Jüngern Jesu zustand. Nicht nur, dass sie allein mit einem unverheirateten Mann als unverheiratete Frau in diesem Raum war und sich mit ihm unterhielt, nein, sie ergriff auch noch eine Position und eine Stellung, die ihr überhaupt nicht zustand.
So schlicht die Geste auch sein mag, so revolutionär ist sie im Kontext, in dem wir uns bewegen. Mit demütigem, schweigsamen Frommsein hat das, was Maria da tut, überhaupt nicht zu tun.
Auf Martha und Maria lasten dieselben kulturellen Erwartungen in Sachen Gastfreundschaft und in Sachen Benehmen. Martha gibt sich dem hin. Maria probt den Aufstand und macht damit auch für uns heute noch Einiges deutlich. Klar, nicht nur, was die Rolle der Frau angeht. Das kann sich wohl jeder selbst zusammenreimen. Nein, dass für mich noch entscheidendere ist, dass Maria uns gestressten Europäern Einiges zu sagen hat. Kannst du sein? Kannst du einfach da sein? Wann hast du dich das letzte Mal genossen? Wann warst du mit dir allein und warst zufrieden mit dir? Hältst du es mit dir noch aus, oder ist das für dich eher eine Qual und eine Last, mit dir allein zu sein?
Das ist das Erste, was Maria hier setzt. Maria hat eines verstanden: In der Gegenwart Jesu kann sie einfach sein, muss nichts leisten, muss nichts vorweisen. Sondern sie sagt: „Ich bin da.“ Und in diesem Moment gibt es noch jemanden, dessen Name sogar ist Ich-bin-da-für-dich. Das ist es, was Maria uns als gestresste Menschen um die Ohren haut. Sie macht damit noch einiges klar: Gott liebt dich nicht einfach nur; denn lieben kann man manchmal auch mit zusammengebissenen Zähnen. Sondern Gott genießt dich. Gott genießt es, wenn du in seiner Nähe bist, wenn du einfach bei ihm bist und es dir in seiner Gegenwart gut gehen lässt. Gott genießt dich. Lieben ist manchmal auch ein Kraftakt. Das wissen gerade Eltern von pubertierenden Kindern. Aber das, was Jesus hier deutlich zum Ausdruck bringt: Ich genieße es, wenn du einfach da bist. Wie in diesen Momenten, wenn man mit guten Freunden zusammen schweigend am Tisch sitzt und nicht peinlich betretene Stille herrscht, sondern einfach das tiefe Wissen: Ich bin da. Du bist da und das reicht.
Außerdem macht Maria uns damit klar, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Dringlichen und dem Wichtigen gibt. Das Dringliche ist immer das, was von der Zeit her brenzlich ist, was auf unseren To-Do-Listen immer nach oben ploppt oder, was mal eben jetzt unmittelbar gemacht werden soll.
Das Wichtige dem gegenüber ist, was uns auf Dauer weiterbringt, was uns als Menschen wachsen und reifen lässt, was unsere Beziehungen voranbringt und was dafür sorgt, dass wir im Leben wirklich weiterkommen und nicht dabei stehen bleiben, einfach ständig nur das zu erledigen, was irgendwie gerade anfällt.
Das Nächste, was uns Maria für meinen Geschmack wunderbar als Thema mitgibt, ist die Frage: Wann spürst du dich? Damit meine ich weniger eine physiotherapeutische Übung als das, was unsere schöne deutsche Sprache in ihren Sprichwörtern für uns bereithält. Was sitzt dir im Nacken? Was liegt schwer auf deinen Schultern? Was ist Dir auf den Magen geschlagen? Was geht dir an die Nieren und was sitzt wie ein Klos oder Frosch in deinem Hals? Diese körperlichen Anzeichen machen uns deutlich, wie es uns wirklich geht. Sie sind ein deutliches Anzeichen dafür, welchen Themen wir uns immer wieder stellen sollten oder was unseren Fokus verdient. All das können wir aber nur angehen, wenn wir da sind, wenn wir im Hier und Jetzt präsent sind und nicht in Gedanken bei dem verhaftet bleiben, was einmal war, was sich eh nicht mehr ändern lässt oder bei dem, was in Zukunft unter Umständen womöglich einmal sein wird.
Maria hat verstanden im Jetzt zu sein und hier zu sein ist das Wesentliche und das Entscheidende. Das ist es, was Gott uns immer wieder gönnen will. In seiner Gegenwart sei da und lass dich genießen.