Chef­ses­sel

Chef­ses­sel

THE­RE­SA VON AVILA (1515−1582) war eine au­ßer­ge­wöhn­li­che Mys­ti­ke­rin, Kir­chen­re­for­me­rin und die ers­te Frau, die von der ka­tho­li­schen Kir­che als Kir­chen­leh­re­rin an­er­kannt wur­de – 1970 durch Paul den VI. Ihre Po­si­tio­nen zur Rol­le der Frau, ihr Ver­hält­nis zu Män­nern und ihre kri­ti­schen, oft pro­vo­kan­ten Äu­ße­run­gen las­sen sich mit fol­gen­den Aspek­ten und Zi­ta­ten belegen:
Theo­lo­gi­sche und spi­ri­tu­el­le Positionen
Selbst- und Got­tes­er­kennt­nis: Sie präg­te die Mys­tik als „Er­fah­rungs­wis­sen von Gott“. Für sie war die Su­che nach Gott im ei­ge­nen In­ne­ren und die Ver­bin­dung von Selbst- und Got­tes­er­kennt­nis zentral.
Wert und Cha­ris­ma der Frau: Sie sah die Got­tes­er­fah­rung in Frau­en wie in Män­nern glei­cher­ma­ßen und be­ton­te, dass jede Ver­let­zung der Men­schen­wür­de – ob ge­gen Frau­en oder Män­ner – eine Be­lei­di­gung Got­tes ist. Sie war über­zeugt, dass „Gott Frau­en die­sen Guns­t­er­weis [mys­ti­sche Er­fah­rung] viel öf­ter als Män­nern schenkt“.
Bei­trag von Frau­en für Kir­che und Ge­sell­schaft: Sie war der Über­zeu­gung, dass Frau­en be­deu­ten­de Ga­ben und Cha­ris­men in die Kir­che ein­brin­gen kön­nen. Als Re­for­me­rin setz­te sie dies prak­tisch um, in­dem sie den Kar­melor­den re­for­mier­te und zahl­rei­che Klös­ter grün­de­te – auch ge­gen mas­si­ven Wi­der­stand kirch­li­cher Au­to­ri­tä­ten und Theologen.
Hal­tung ge­gen­über Män­nern und kirch­li­chen Autoritäten
The­re­sa ver­tei­dig­te selbst­be­wusst den Wert der Frau­en. Sie schrieb hu­mor­voll-streit­ba­re Brie­fe an hoch­ge­stell­te Män­ner (u.a. den Papst) und scheu­te den Dis­put mit den bes­ten theo­lo­gi­schen Köp­fen nicht.
Sie zeig­te, dass Au­to­ri­tät und Cha­ris­ma nicht an das Ge­schlecht ge­bun­den sind. Karl Rah­ner sag­te zu ih­rer Er­nen­nung als Kir­chen­leh­re­rin: „Das Cha­ris­ma der Leh­re ist kein Pri­vi­leg des Man­nes […] die Vor­stel­lung, als ob die Frau in geis­ti­ger und re­li­giö­ser Hin­sicht die Un­be­gab­te­re sei, wird da­mit verworfen.“
Pro­vo­kan­te und deut­li­che Zitate
„Ich bin ein Weib – und oben­drein kein gu­tes.“ Die­se iro­ni­sche Selbst­di­stan­zie­rung nutz­te The­re­sa, um die Rol­le der Frau in der Kir­che zu un­ter­strei­chen und sub­ti­le Kri­tik zu üben.
„Ich wer­fe un­se­rer Zeit vor, dass sie star­ke und zu al­lem Gu­ten be­gab­te Geis­ter zu­rück­stößt, nur weil es sich um Frau­en handelt.
Im Dia­log mit Je­sus fühl­te sie sich von ihm be­stä­tigt: „…du bist ein ge­rech­ter Rich­ter und nicht wie die Rich­ter die­ser Welt, de­nen (…) jede Tu­gend der Frau ver­däch­tig er­scheint. (…) Aber wenn ich un­se­re Welt von heu­te sehe, dann fin­de ich es nicht ge­recht, dass Men­schen mit ei­nem tu­gend­haf­ten und star­ken Ge­müt ver­ach­tet wer­den, ein­zig und al­lein weil sie Frau­en sind.“ The­re­sa for­der­te, sich von über­kom­me­nen Struk­tu­ren zu lö­sen, um in Frei­heit Neu­es zu wa­gen, „die Be­reit­schaft, Al­tes los­zu­las­sen, kon­kret auch In­sti­tu­tio­nen auf­zu­ge­ben, um frei ‚von‘ und da­mit frei ‚für‘ zu sein.“ – eine di­rek­te Pro­vo­ka­ti­on für eine be­har­ren­de Kirchenhierarchie.
„Es ist schwer, sei­nen Ver­stand je­mand un­ter­zu­ord­nen, der kei­nen hat. Ich habe das nie vermocht.“
„Kein Zwei­fel, dass ich in­zwi­schen mehr Angst vor de­nen habe, die so viel Angst vor DEM BÖ­SEN ha­ben, als vor ihm selbst.“

DO­RO­THEE SÖL­LE (1929–2003) Söl­le ge­hör­te zu den pro­fi­lier­tes­ten Ver­tre­tern ei­nes „an­de­ren Pro­tes­tan­tis­mus. Sie ver­such­te in ih­ren Schrif­ten, all­täg­li­che Le­bens­er­fah­run­gen – ins­be­son­de­re des Lei­dens, der Ar­mut, der Be­nach­tei­li­gung und Un­ter­drü­ckung – mit theo­lo­gi­schen In­hal­ten zu ver­knüp­fen. Eine An­er­ken­nung im Wis­sen­schafts­be­trieb blieb ihr weit­ge­hend versagt.
Po­li­ti­sche und fe­mi­nis­ti­sche Theologie
Sie ver­band Theo­lo­gie von An­fang an mit ge­sell­schaft­li­chem En­ga­ge­ment („po­li­ti­sche Theo­lo­gie“). Sie ver­stand Glau­ben nicht als pri­va­tes Trost­pflas­ter, son­dern als An­trieb zu so­zia­lem und po­li­ti­schem Wi­der­stand ge­gen Un­ge­rech­tig­keit. Sie trat für eine Kir­che ein, in der Män­ner und Frau­en als gleich­be­rech­tig­te Sub­jek­te des Glau­bens und Han­delns wirken.
Neue Got­tes­bil­der und weib­li­che Spiritualität
Söl­le lehn­te die Vor­stel­lung von Gott als pa­tri­ar­cha­len „Herr­scher“ ab und plä­dier­te für ein Got­tes­ver­ständ­nis, das Be­zie­hung, Mit­ge­fühl und ge­gen­sei­ti­ge Er­mäch­ti­gung be­tont. In ih­ren Ge­dich­ten, Ge­be­ten und theo­lo­gi­schen Tex­ten such­te sie nach ei­ner weib­li­chen Spra­che über Gott: „Wir müs­sen Gott so lie­ben, dass es auf­hört, eine männ­li­che An­ge­le­gen­heit zu sein.“
Bi­bli­sche Ge­rech­tig­keit und Befreiung
Söl­le be­ton­te, dass der Glau­be an den Gott der Bi­bel stets das En­ga­ge­ment für Ge­rech­tig­keit und Men­schen­rech­te ein­schließt. Die alt­tes­ta­ment­li­chen Pro­phe­ten und Je­sus sind für sie Vor­bild und Be­grün­dung für zi­vi­len Un­ge­hor­sam und So­li­da­ri­tät mit Aus­ge­grenz­ten – un­ab­hän­gig vom Ge­schlecht. Be­son­ders das Lu­kas-Evan­ge­li­um und die Aus­sa­gen zur Eben­bild­lich­keit (Ge­ne­sis 1) nutzt sie als Ar­gu­ment für Geschlechtergerechtigkeit.
Ra­di­ka­le Kri­tik an männ­lich-ge­präg­ter Kirche
Söl­le kri­ti­sier­te scharf die „Her­ren­herr­lich­keit“ in Kir­che und Theo­lo­gie, die Frau­en eine pas­si­ve oder un­ter­ge­ord­ne­te Rol­le zu­schrei­ben. Wenn Frau­en am Al­tar aus­ge­schlos­sen wer­den: „Das ist die Kon­se­quenz aus ei­ner Got­tes­vor­stel­lung, die lie­ber ei­nen Mann ans Kreuz na­gelt, als eine Frau Brot aus­tei­len lässt.“ Sie ar­gu­men­tier­te, dass die Kir­che Jesu von den Er­nied­rig­ten aus­geht – zu de­nen auch die Frau­en ge­hö­ren – und nur dann glaub­wür­dig bleibt, wenn sie die Wirk­lich­keit von Frau­en wahr­nimmt und ihre Teil­ha­be er­mög­licht. Söl­le scheu­te kei­ne Kon­tro­ver­se – im­mer aus dem Geist pro­phe­ti­schen Pro­tes­tes nach bi­bli­schem Vor­bild. Sie nann­te Dog­men die Frau­en ab­wer­ten eine „Got­tes­läs­te­rung“.
Plä­doy­er für so­li­da­ri­sche Ge­mein­schaft und Teilhabe
Söl­le ver­stand Christ­sein als Pra­xis der Gleich­heit und Ge­schwis­ter­lich­keit: Nicht Au­to­ri­tä­ten zäh­len, son­dern die Er­fah­rung und Pra­xis der ge­gen­sei­ti­gen Er­mäch­ti­gung („em­power­ment“). Sie rief ge­ra­de Frau­en und alle Chris­ten dazu auf, die ei­ge­ne Stim­men zu er­he­ben, Lei­tungs­auf­ga­ben zu über­neh­men und die Bi­bel aus der Per­spek­ti­ve der Un­ter­drück­ten zu le­sen und zu leben.
Pro­vo­kan­te und deut­li­che Zitate
„Stell dir vor, Gott ist eine Frau. Sie ist schwarz. Sie ist aus Afri­ka. Sie war­tet auf Ge­rech­tig­keit, auf Frei­heit, auf Kin­der, die leben.“
„Es ge­hört zu den Krank­heits­zei­chen un­se­rer Re­li­gi­on, dass Frau­en über vie­le Jahr­hun­der­te hin be­grei­fen muss­ten: Ich bin nicht ge­meint, wenn von Gott ge­spro­chen wird.“
„Glau­ben heißt, sich nicht abfinden.“
„Auf Gott darf man nur hof­fen, wenn man be­reit ist, im Na­men Got­tes Un­recht nicht zu akzeptieren.“

GE­BET
Ge­rech­ter Gott,
du hast uns alle nach dei­nem Bild geschaffen –
gleich an Wür­de, gleich an Wert,
gleich be­ru­fen, dein Reich mitzugestalten.
Doch wir er­le­ben, dass die­se Gleich­heit oft über­se­hen wird:
In un­se­ren Kir­chen, in un­se­ren Fa­mi­li­en, in un­se­rer Arbeit.
Wir brin­gen dir die Stim­men, die über­hört werden,
die Ga­ben, die nicht an­er­kannt werden,
die Frau­en, die kämp­fen müs­sen, um ge­hört zu werden,
und die Män­ner, die ler­nen müs­sen, neu zu sehen.
Mach uns auf­merk­sam und mu­tig, Un­gleich­heit nicht hinzunehmen
und Ver­ant­wor­tung zu teilen.
Je­sus Chris­tus, er­neue­re un­se­re Gemeinschaft,
dass wir Struk­tu­ren hin­ter­fra­gen und mit­ein­an­der wachsen.
Denn nur ge­mein­sam spie­geln wir dein Bild –
Mann und Frau, gleich­wer­tig, ge­mein­sam auf dem Weg.
Hilf uns glaub­wür­dig zu le­ben und Kir­che zu sein. Amen.