Bil­li­ge Kritik

Nicht jede Kri­tik hat die­sel­be Qua­li­tät und nicht jede ver­folgt das Ziel, die Welt klü­ger zu ma­chen.  Im Ide­al­fall ist Kri­tik ein durch­dach­tes und re­spekt­vol­les In­fra­ge­stel­len, be­trie­ben von Men­schen, die Lust am Den­ken ha­ben und ge­mein­sam den Ho­ri­zont er­wei­tern wol­len. Dann ist Kri­tik ein Ge­spräch auf of­fe­ner Büh­ne: Ideen wer­den auf den Tisch ge­legt, um ge­prüft zu wer­den. Wer da­bei sei­ne per­sön­li­chen Be­find­lich­kei­ten ins Feld führt, stol­pert eher über das ei­ge­ne Ego als über neue Erkenntnisse.

Heu­te hin­ge­gen tar­nen sich Be­lei­di­gun­gen ger­ne als „Kri­tik“ – vor­zugs­wei­se ab­ge­schickt von an­ony­men Ava­ta­ren, die ihr Ge­sicht lie­ber hin­ter Fan­ta­sie­na­men auf So­cial Me­dia Platt­for­men ver­ste­cken. Kon­struk­ti­ver Wert? Fehl­an­zei­ge. Statt­des­sen ha­gelt es emo­tio­na­le At­ta­cken, die zer­trüm­mern, ohne auch nur im An­satz et­was Brauch­ba­res an die Stel­le zu set­zen. Kurz: lau­te Selbst­ent­la­dung, die nichts be­wegt au­ßer der ei­ge­nen Wutspirale.

Bleibt also die Kunst, den Spa­gat zu meis­tern: Kri­tik nicht zu ver­ler­nen – und Gift­pfei­le als das zu er­ken­nen, was sie sind.

 

Wer sich traut, den Kopf aus der De­ckung zu stre­cken, um für et­was ein­zu­ste­hen, stol­pert fast un­wei­ger­lich über die bil­li­gen For­men von Kri­tik. Und die sind tü­cki­scher, als man denkt. Denn bil­li­ge Kri­tik trifft im­mer da, wo’s rich­tig weh tut. Men­schen auf den bil­li­gen Plät­zen sind dar­in wah­re Vir­tuo­sen. Sie ken­nen die Soll­bruch­stel­len: bei Frau­en das Aus­se­hen, die Kör­per­bild, die Mut­ter­rol­le – kurz, al­les, was die Sei-per­fekt-und-mach-alle-glück­lich-Rol­le an­knackst. Män­nern ge­hen sie di­rekt an den Hals: jeg­li­che Schwä­che oder schein­ba­re Schlap­pe wird angegriffen.

Die Fol­ge? Nach ei­ni­gen Tref­fern zie­hen wir uns zu­rück. We­ni­ger An­griffs­flä­che, klar. Aber auch we­ni­ger we­sent­li­che Bei­trä­ge. We­ni­ger Stim­men, die ge­hört wer­den müss­ten. We­ni­ger Mei­nun­gen, die uns wirk­lich wei­ter­brin­gen.  Al­ter­na­tiv schal­ten wir in den „Mir doch egal“-Modus. Klingt stark, ist aber Selbst­be­trug. Denn wirk­lich gleich­gül­tig zu sein, er­for­dert eine Rüs­tung so schwer und un­be­quem, dass man stän­dig am Nach­bes­sern ist. Und die­ses Wett­rüs­ten lässt sich schlicht nicht gewinnen.

Das grö­ße­re Pro­blem: Wenn bil­li­ge Kri­tik zur lau­tes­ten wird, dann ver­ges­sen wir, dass es auch wert­vol­le Kri­tik und not­wen­di­ges Feed­back gibt. Plötz­lich wagt kei­ner mehr, über den Tel­ler­rand zu schau­en. Kein Ri­si­ko, kei­ne Rei­bung – aber eben auch kein Wachs­tum. Still­stand im Na­men der Schonung.

Es gibt zwei Ex­tre­me in die­ser Si­tua­ti­on: Wenn uns ir­gend­wann völ­lig egal ist, was an­de­re den­ken, ver­lie­ren wir un­se­re Fä­hig­keit, Ver­bun­den­heit zu ent­wi­ckeln. Wenn wir uns an­de­rer­seits aus­schließ­lich da­von de­fi­nie­ren las­sen, was an­de­re den­ken, dann ver­lie­ren wir den Mut, ver­letz­lich zu sein, zu zei­gen, wer wir wirk­lich sind – mit un­se­ren Ideen, Lei­den­schaf­ten und al­lem, was uns wich­tig ist.

Die Lö­sung? Ver­schaf­fe dir Klar­heit, wes­sen Mei­nung zählt. Schreib dir die Na­men auf ei­nen Zet­tel – zehn mal zehn Zen­ti­me­ter. Das ist dein hei­li­ger Raum. Wenn dir zu vie­le Na­men für die­ses Qua­drat ein­fal­len? Dann musst du Ab­stri­che ma­chen! Üb­rig blei­ben die Men­schen, die dich nicht trotz, son­dern we­gen dei­ner Schwä­chen und Un­voll­kom­men­hei­ten lie­ben. Die dich hoch­zie­hen, wenn du am Bo­den liegst, und die dir zu­trau­en, wie­der auf­zu­ste­hen. Und ja, dazu ge­hör­ten auch die, die mu­tig ge­nug sind zu sa­gen: „Ich sehe das an­ders“ oder „Ich glau­be, du irrst dich.“ Die, die dir un­be­que­me Fra­gen stel­len, wenn du nicht im Ein­klang mit dei­nen Wer­ten handelst.

Mei­nen Zet­tel tra­ge ich im­mer bei mir. Wenn’s hart auf hart kommt, frag ich nicht die Leu­te von den bil­li­gen Sit­zen. Ich frag je­man­den von die­ser Lis­te. Und die Ant­wort ist meis­tens ehr­li­cher – und hilf­rei­cher – als je­der Ap­plaus oder Buh­ruf aus dem Publikum.