Unser Leben ist vielen äußeren Umständen unterworfen, die es beeinflussen.
Aber der Einfluss, den unsere Familie auf unser gesamtes Leben hat, ist der mächtigste Einfluss in unserem Leben. Es scheint zwar so, als wäre jeder Mensch ein Individuum, das seine eigenen Entscheidungen trifft, doch tatsächlich sind wir alle Teile eines größeren Familiensystems, das einige Generationen zurückreicht. Unsere Familiengeschichte lebt in jedem Einzelnen von uns fort.
Dass sich bestimmte Muster von einer Generation zur nächsten fortsetzen, lässt sich vielfach beobachten. Das gilt für Alkoholismus, Sucht, Gewalt, Probleme in der Ehe und Partnerschaft etc. Wissenschaftler und Soziologen streiten seit Jahrzehnten darüber, ob dies ein Ergebnis unserer Veranlagung – also unserer DNA – oder ein Ergebnis der Erziehung ist oder gar ein undurchdringbarer Mix von beidem. (s. hierzu z.B. Judith Rich Harris – The Nurture Assumption: Why Children Turn Out the Way They Do / Jeder ist anders: Das Rätsel der Individualität)
Diese Verhaltensmuster funktionieren wie Gebote. Manche werden deutlich ausgesprochen. Die meisten bleiben unausgesprochen. Sie sind allerdings so sehr einprogrammiert, dass wir sie in unsere engsten Beziehungen als Erwachsene hineinnehmen.
Es gibt so etwas wie die „10 Gebote der Familie“.
Z.B. 1.Geld: ‑Nur Geld gibt Sicherheit ‑Je mehr Geld du hast, umso wichtiger bist du. 2.Konflikte: ‑Vermeide Konflikte um jeden Preis ‑Achte darauf, dass andere nicht wütend auf dich werden ‑Laute, ständige Streitereien sind normal 3.Trauer und Verlust: ‑Traurigkeit ist ein Zeichen von Schwäche ‑Du sollst schnell über einen Verlust hinwegkommen 4.Familie: ‑Für alles, was deine Eltern für dich getan haben, stehst du in der Pflicht ‑Sprich nicht in der Öffentlichkeit über die schmutzige Wäsche deiner Familie ‑Zuerst bist du deiner Familie verpflichtet 5.Beziehungen: ‑Vertraue keinem, Menschen enttäuschen dich nur ‑Zeig niemandem, dass du verletzlich bist 6.Gefühle & Emotionen: ‑Bestimmte Gefühle darfst du nicht haben ‑Gefühle sind nicht wichtig ‑Gib ständig deinen Gefühlen nach
Diese Liste lässt sich leicht erweitern. Welche Botschaften haben Sie mitgenommen?
Es ist wichtig, dass wir über die Muster nachdenken, die an uns weitergegeben wurden. Nur wenn wir sie kennen, können wir sie ansehen und dazu Stellung nehmen.
Es kann sein, dass wir unser eigenes Leben aufbauen, doch in Wirklichkeit folgen wir, vermutlich unbewusst, weiterhin den Geboten und Regeln, die wir durch unsere Herkunft verinnerlicht haben. Ein Blick in die Vergangenheit wirft Licht auf die Gegenwart. Das kann schmerzhaft sein. Doch auch die schlimmsten und schmerzhaftesten Erfahrungen, die wir in unserer Familie machen, sind Teil der gesamten Identität. Und je mehr wir über unsere Familien wissen, umso mehr wissen wir über uns selbst und umso freier können wir entscheiden, wie wir leben wollen. Wir können sagen: Das will ich behalten. Das will ich nicht mit in die nächste Generation hinübernehmen.
Josef – zurückgehen, um voranzukommen
Ein Viertel des Buches Genesis beschäftigt sich mit Josef und mit der Frage, wie Josef von einem verwöhnten Lieblingssohn zu einem emotional und geistlich reifen Erwachsenen heranwächst. Auch in Josefs Familie ab es menschliche Unzulänglichkeit, Gebrochenheit und Trauer. Josef ist siebzehn Jahre alt, der elfte von zwölf Söhnen und der Liebling seines Vaters Jakob. Die Familie ist eine komplexe Patchworkfamilie in der Jakob, seine zwei Frauen und zwei Nebenfrauen sowie sämtliche Kinder unter einem Dach lebten.
Die Schwere und Anzahl von Familiengeheimnissen kann Aufschluss darüber geben, wie gesund und reif eine Familie ist. So betrachtet ist Josefs Familie ausgesprochen krank. Josefs Vater, Großvater und Urgroßvater haben sich alle in Lügen, Halbwahrheiten, Geheimnistuerei und Eifersucht verstrickt. Jetzt erreicht dieses generationenalte Verhaltensmuster ein neues Ausmaß.
Josef scheint unreif und arrogant zu sein. Er erkennt nicht, wie seine Träume und Visionen von Gott ihn nur noch weiter von seinen Brüdern entfremden. Sie hassen ihn so sehr, dass sie schließlich vortäuschen, er sei von wilden Tieren getötet worden, und ihn als Sklaven nach Ägypten verkaufen. Sie hoffen, nie wieder etwas von ihm zu hören.
Während er dann in Ägypten als Sklave im Hause des Potifar dient, wird er unschuldig wegen Raub und Vergewaltigung verurteilt und für mehrere Jahre ins Gefängnis geworfen. 10 bis 13 Jahre verbringt er im Gefängnis. Welche Verschwendung! Welcher Betrug! Wenn es jemanden gibt, der wegen des ihm zugefügten Schadens voller Bitterkeit und Wut gegen seine Familie sein kann, dann ist es Josef.
Dann passiert das Unglaubliche. Aufgrund einer Traumdeutung wird Josef praktisch über Nacht aus dem Gefängnis geholt und zum zweiten Mann an der Spitze Ägyptens gemacht, der damaligen Supermacht. In Zusammenarbeit mit Gott wird er zum Segen — für seine Herkunftsfamilie, für Ägypten und für die Welt. Der Familie, die ihn betrogen und verraten hatte, begegnet er mit Achtung und Großzügigkeit.
Josef ging zurück, um voranzukommen. Die Frage ist, wie? Was können wir von seinem Leben lernen?
1. Josef ist ergriffen von der Größe Gottes
Josef hatte verstanden, dass in allen Dingen Gott am Werk ist, um sein Ziel zu verfolgen — trotz, durch und entgegen aller menschlichen Anstrengung. Um seine Zukunft heraufzuführen, lässt Gott kein Stück unserer Vergangenheit unberücksichtigt, solange wir uns ihm unterstellen. Die Umwege, die wir im Laufe unseres Lebens machen, nimmt Gott und macht daraus Gaben für eine segensreiche Zukunft.
2. Josef steht zu dem Schmerz, den seine Familie ihm zugefügt hat
Unsere natürliche Reaktion auf Schmerz ist der Versuch, ihn loszuwerden. Deswegen wehren sich die meisten Menschen dagegen, zurückzugehen und den Schmerz und die Verletzungen ihrer Vergangenheit noch einmal zu erleben
Als Josef schließlich seinen Brüdern wieder begegnet, lässt er seinen Tränen freien Lauf. Tatsächlich heißt es, dass er so laut weinte, dass die Ägypter ihn hörten (1. Mose 45,2). Er verharmlost die schmerzhaften Jahre nicht, und er entschuldigt sie auch nicht. Doch aus seiner ehrlichen Trauer über den Schmerz heraus kann er dann auch wirklich vergeben und die Brüder segnen (die ihr Fehlverhalten einsehen), die ihn verraten haben. Als es ihm besser geht, gibt er seinen beiden Kindern Namen, die vom Schmerz und der Traurigkeit seiner Vergangenheit zeugen. Seinen ersten Sohn nennt er Manasse, hebr. für vergessen, denn Gott hatte ihm geholfen, seine Sorgen zu vergessen. Sein zweites Kind nennt er Ephraim, hebr. für „wachsen lassen«, denn Gott hatte ihn in seiner neuen Heimat, in der er so viel gelitten hatte, wachsen lassen. (Genesis 41,50−52)
3. Josef verfasst ein neues Drehbuch für sein Leben
Josef hätte viel Anlass dazu gehabt, sich selbst einzureden: Mein Leben ist ein Fehler. Ich bin nutzlos. Ich sollte keinem Menschen vertrauen. Ich bin ein Verlierer. Aber gerade das tut er nicht. Unsere Familien und traumatischen Erlebnisse geben uns oft negative Vorgaben und Botschaften mit, die unser Leben unbewusst dirigieren. So wiederholen sich Entscheidungen, die wir aufgrund dieser Vorgaben treffen, auch wenn dies gar nicht nötig wäre.
Josef ist sich seiner Vergangenheit bewusst. Josef macht sich darüber Gedanken. Und dann öffnet er die Tür für Gottes Zukunft, indem er mit Gott gemeinsam, im Vertrauen auf seinen Beistand neue Wege beschreitet.
Es heißt, dass der wirkliche Test dafür, wie weit wir wirklich unser eigenes Leben leben, stattfindet, wenn wir mehr als drei Tage mit unseren Eltern verbringen. Dann kommt ein Punkt, an dem wir uns fragen, wie alt wir uns fühlen. Tauchen da wieder Verhaltensmuster unserer Kindheit auf?
4. Josef verbündet sich mit Gott, um ein Segen zu sein.
Josef traf die Entscheidung, Gott mehr zu vertrauen, als seiner Vergangenheit. Er entschied sich, Gottes Kraft der Erneuerung und Befreiung zu einem anderen Leben mehr zu glauben, als der Anziehungskraft der Vergangenheit. So wurde Großes und Wunderbares in seinem Leben möglich
Die gute Nachricht des Evangeliums ist: Die Vergangenheit muss nicht mehr unsere Zukunft bestimmen. Im christlichen Gauben bestimmt nicht mehr unsere biologische Familie unsere Zukunft. Ein zentraler Begriff, mit dem das NT dies beschreibt, ist die „Aufnahme in die Familie Gottes«. Wir werden zu Gottes Kindern und zu Gliedern seiner Familie. Es handelt sich um einen Neuanfang.
Der Apostel Paulus verwendet das Bild der römischen Adoption, um dieses Geschehen zu beschreiben (Epheser 1,4−5). Und das Jesus dieses Angebot ernst meint zeigt folgende Stelle:
Noch während Jesus sprach, kamen seine Mutter und seine Geschwister. Aber weil so viele Menschen bei ihm waren, kamen sie nicht an ihn heran. Deshalb baten sie, Jesus auszurichten: „Deine Mutter, deine Brüder und deine Schwestern warten draußen. Sie wollen mit dir reden!« Er gab zur Antwort: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Geschwister?« Dann sah er seine Zuhörer an und sagte: „Seht diese dort, sie sind meine Mutter und meine Geschwister. Wer Gottes Willen tut, ist für mich Bruder, Schwester und Mutter!« (Markus 3,33−35)
Nachfolge bedeutet, diese Glaubensaussagen zu einem Bestandteil unseres täglichen Lebens zu machen, damit sich Verwandlung vollziehen kann.
GEBET
Höre mein Gebet und komm mir schnell zu Hilfe!
Bring mich in Sicherheit und beschütze mich wie in einer Burg, die hoch oben auf dem Felsen steht. Ja, du bist mein schützender Fels, meine sichere Burg. Du wirst mich führen und leiten!
In deine Hände lege ich mein Leben, denn du wirst mich erlösen, HERR, du treuer Gott! Ich juble vor Freude, weil du mich liebst. Dir ist meine Not nicht entgangen; du hast erkannt, wie verzweifelt ich bin; jetzt bin ich frei, zu gehen, wohin ich will.
Meine Augen sind vom Weinen ganz verquollen, ich bin mit meiner Kraft am Ende. Unter Kummer schwindet mein Leben dahin, unter Seufzen vergehen meine Jahre. Man hat mich vergessen wie einen, der schon lange tot ist; wie ein zerbrochenes Gefäß bin ich, das achtlos weggeworfen wurde.
Ich höre viele hinter meinem Rücken tuscheln.
Ich aber, HERR, vertraue dir. Du bist mein Gott, daran halte ich fest! Was die Zeit auch bringen mag, es liegt in deiner Hand. Seid stark und mutig, alle, die ihr auf den HERRN hofft!